Oksana Sabuschko
Die 1960 in Kiew geborene Schriftstellerin gilt als enfant terrible der ukrainischen Literatur. Sie beleuchtet vor allem die weibliche Seite der ukrainischen Identität. Nach zahlreichen lyrischen Texten veröffentlichte sie 1996 den Roman »Feldstudien über ukrainischen Sex«, der zehn Jahre später vom Übersetzer:innenkollektiv Daja bei Droschl erschien. Darin erzählt sie die autobiografisch motivierte Geschichte einer Dichterin, die aus den Muff der ukrainischen Geschichte hinter sich lassen will und in die USA geht. Isolation und Fremdheitsgefühl treiben sie dort an den Küchentisch, wo sie beginnt, ihre Geschichte aufzuschreiben, ihre Kindheit und Jugend in der Sowjetunion, aber auch ihre erste Liebe zu einem Mann, dessen wirre politische Revolution sich gegen sie richtet. Keine Frau habe sich bisher so radikal zu Fragen der Sexualpolitik, zum slawischen Machotum, zur Sklavenmentalität ihrer Heimat geäußert, schreibt der Verlag. Die »Feldstudien über ukrainischen Sex« seien sehr schnell zur feministischen Bibel in der Ukraine avanciert. Sabuschko selbst kommentierte den Roman wie folgt: »Ich habe die ukrainische Sprache in die Sprache des weiblichen Körpers zu übersetzen versucht.«

Auf ihr Opus Magnum musste man nach dem fulminanten Debütroman nicht lange warten. 2009 in der Ukraine erschienen ist der epische Roman »Museum der vergessenen Geheimnisse« schon im Jahr darauf in der deutschen Übersetzung von Alexander Kratochvil erschienen. Anhand von drei Frauen erzählt sie die Geschichte der Ukraine im 20. Jahrhundert. Eine Filmemacherin stößt auf die Geschichte einer ukrainischen Widerstandskämpferin im Zweiten Weltkrieg. Bei den Recherchen verliebt sie sich in dessen Enkel. Doch statt Glück zieht Dunkelheit auf, denn gleichzeitig kommt ihre beste Freundin, eine Künstlerin, bei einem mysteriösen Autounfall ums Leben. Als sie den Ereignissen auf den Grund geht, stößt sie auf die dunklen Geheimnisse ihrer Nation. »Museum der vergessenen Geheimnisse« ist Krimi, Gesellschaftsanalyse und Nationalepos in einem. Sabuschkos Roman stand wochenlang auf den ukrainischen Bestsellerlisten, Kritiker verglichen die Kiewer Autorin mit Fjodor Dostojewski. Die staatliche Nachrichtenagentur der Ukraine schrieb gar: »Hier wird die ganze bittere und harte Wahrheit über unsere heutige Realität erzählt.«
Um Frauenfiguren und deren Beziehungen geht es auch in ihrem von Alexander Kratochvil übersetzten Roman »Schwestern«, der sich aus verschiedenen, miteinander verflochtenen Erzählungen zusammensetzt. In denen spiegelt sich wiederum Erlebtes und Erfahrenes, Unterdrückung, Fremdbestimmung, nicht-realisierte Lebensmöglichkeiten, sexuelle Gewalt, Gender- und Identitätskonflikte ukrainischer Frauen. Diese und andere Erfahrungen reflektiert Sabuschko vor unterschiedlichen zeithistorischen Umständen, unter sowjetischer Oppression oder im unendlichen Echoraum der Sozialen Medien.





Sabuschko ist aber nicht nur Romancière, sondern auch Intellektuelle. In ihren ebenfalls von Alexander Kratochvil übertragenen Essays »Planet Wermut« und »Der lange Abschied von der Angst« bezieht sie Stellung zu Politik und Geschichte ihres Landes aus dezidiert weiblicher Perspektive. Von einem kritisch feministischen, postkolonialistischen Standpunkt aus schreibt sie dort in europäischer Perspektive über das Scheitern von Gesellschaften, politische Irrwege und ihre geistesgeschichtlichen Vorläufe. Dabei nimmt sie – nicht nur, aber insbesondere – die Ukraine in den Blick, kritisiert die verkommene Moral der herrschenden Klasse und die Verbindung aus politischer Korruption und nationalreligiöser Mythologie. Sie blickt aber auch auf die nationalen Traumata, den Holodomor, Tschernobyl und das Verhältnis zu Russland.
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