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Auserlesene ukrainische Literatur

Tanja Maljartschuk

In Wien lebt die 1983 in Iwano-Frankiwsk geborene Schriftstellerin Tanja Maljartschuk, die vor ihrer Emigration nach Wien im Jahr 2011 als investigative Journalistin in Kiew arbeitete. 2018 gewann sie den Ingeborg-Bachmann-Preis für ihren Text »Frösche im Meer«. Literarisch ist sie seit den Nullerjahren aktiv, 2009 erschien mit dem von Claudia Dathe übersetzten Roman »Neunprozentiger Haushaltsessig« ihr erstes deutschsprachiges Buch. Es verbindet drei verschiedene Geschichten, die alle von Sehnsüchten, Träumen und Abschiednehmen handeln. Sie spielen in den letzten Sowjetjahren und kurz nach der Unabhängigkeit der Ukraine. Es geht um Menschen, die sich selbst und ihre Geschichte in der surrealen Gegenwart der unmittelbaren postsowjetischen Ära suchen.

Tanja Maljartschuk | Foto: Zbrud

Dem folgte die von Anna Kauk übersetze »Biografie eines zufälligen Wunders«, ein Schelmenroman in der postsowjetischen Ukraine, in der sich eine junge Frau in magische Welten träumt, um den gegenwärtigen Problemen ihres Landes aus dem Weg zu gehen. Der WDR schrieb während der Maidan-Proteste über den Roman: »Wer eine Ahnung davon bekommen möchte, warum tausende Ukrainer für diese Werte wochenlang bei Eis und Schnee auf der Straße ausgeharrt, ihr Leben riskiert und im Fall der etwa 100 in Kiew getöteten Demonstranten sogar gelassen haben, sollte diesen bemerkenswerten Roman unbedingt lesen.«

In ihren von Claudia Dathe übersetzten Erzählungen »Von Hasen und anderen Europäern« wendet sie sich aus tierischer Perspektiven der ukrainischen Hauptstadt zu. Ihre Fabel-haften Geschichten erzählen vom Leben in Kiew und einer kriegerischen Bedrohung, die in Ahnungen, Albträumen und Verfolgungswahn Ausdruck findet. Dabei konzentriert sich Maljartschuk vor allem auf ihre weiblichen Figuren, folgt ihren Blicken und Ängsten, während die Männer mit der bedrohlichen Kulisse verschmelzen. Dabei blickt sie auch auf die übersehenen Wesen, auf Hunde, Hasen und Ratten, Schmetterlinge und Quallen, deren Existenz eng mit dem Dasein des Menschen im Übergang verbunden ist. Dieses Verschmelzen der Existenz mit den Elementen findet sich auch in »Überflutet« wieder, der von Harald Fleischmann übersetzten Geschichte, in dem sie das Hochwasser in einem ukrainischen Dorf mit der Überwältigung der ersten Liebe kreuzt.

Zuletzt schrieb sie den Roman »Blauwal der Erinnerung« von Bachmann-Preisträgerin Tanja Maljartschuk, der 2019 in der Übersetzung von Maria Weissenböck erschienen ist. Die Vorsitzender der Jury für den Leipziger Buchpreis Insa Wilke empfahl den Roman im Rahmen der Preisverleihung. Darin geht es um eine junge ukrainische Frau, die aufgrund einer diffusen Angst ihre Wohnung nicht mehr verlassen kann. Von dort ausgehend steigt der Roman hinab in Ängste und Traumata einer Nation, die sich an der historischen Figur eines polnisch-ukrainischen Philosophen festmachen lassen, dessen Geschichte die junge Frau nachgeht. In seinem Kampf um Identität und Selbstbestimmung findet sie Halt und findet so zu sich. Der Roman verwebt den ukrainischen Nationalismus zu Beginn des 20. Jahrhunderts mit den Brüchen der Sowjetära und den innerukrainischen Krisen der Gegenwart.


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8 Kommentare

  1. […] propagiert, dass die Ukraine ein künstlicher Staat ohne eigene Kultur und Geschichte sei. Bereits in einem Beitrag zur zeitgenössischen ukrainischen Literatur hatte ich gezeigt, dass dies U… Die Filmreihe »Perspectives of Ukrainian Cinema« beweist nun für das Kino eindrucksvoll das […]

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