Hörbuch, InSzeniert, Literatur, Roman

Ein Befreiungsschlag

Der 1975 erschienene Debütroman von Gayl Jones ist so kraftvoll und schmerzhaft wie ein Blues-Song. Er handelt von einer Blues-Sängerin und ihren Konfrontationen mit den verschiedenen Formen männlicher Gewalt. Mit Gayl Jones kann man eine außergewöhnliche Stimme der Schwarzen Literatur Amerikas wiederentdecken.

Nur ein Jahr, nachdem James Baldwin »Beale Streat Blues« veröffentlicht hat, stellte er die Kraft seines Romans schon infrage, indem er ein anderes Werk als »die brutalste, ehrlichste und schmerzhafteste Offenbarung dessen, was in den Seelen schwarzer Männer und Frauen passiert ist und passiert« anpries. Gayl Jones blues novel »Corregidora« war nicht nur für Baldwin eine ultimative Erfahrung, Toni Morrison, Maya Angelou, Audre Lorde und Alice Walker gehören zu den begeisterten Leser:innen der in Kentucky geborenen Autorin.

Gayl Jones wurde am 23. November 1949 in der Stadt Lexington in Kentucky geboren. Sie gilt als eine der wichtigsten Vertreterinnen afro-amerikanischer Literatur des 20. Jahrhunderts, schrieb sowohl Romane als auch Essays, Theaterstücke, Kurzgeschichten und Gedichte. Geschichtenerzählen, so heißt es in der Verlagsinformation zum Roman, sei Familientradition, sowohl ihre Großmutter als auch ihre Mutter haben Theaterstücke und Erzählungen verfasst. In der Schule fiel Gayl Jones dann einer Lehrerin auf, die sie für ein Stipendium am privaten Connecticut College empfahl, wo Dichter wie William Meredith oder Robert Hayden unterrichteten. Bei Michael Harper, einem weiterer Poet, studierte sie Literatur. Er bat seine Freundin Toni Morrison, das Manuskript des Romans, der nun in der begeisternden Übersetzung von Pieke Biermann vorliegt, zu lesen.

Gayl Jones: Corregidora. Aus dem Englischen von Pieke Biermann. Kanon Verlag 2022. 222 Seiten. 23,00 Euro. Hier bestellen.

Mehr noch als an Baldwins Roman erinnert dieser an Ann Petrys »The Street«, in dem eine Schwarze Sängerin und Mutter im Harlem der 1940er Jahre für ein Leben in Würde kämpft. Jones verlegt diesen Kampf in den Süden der USA, nach Kentucky, wo die Sängerin Ursa Ende der 40er Jahre jeden Abend in Happy’s Café den Schmerz ihres Volkes besingt. Das missfällt allerdings ihrem zu Übergriffigkeiten und Gewalt neigenden Gatten Mutt, der seine Frau den lüsternen Blicken der überwiegend Schwarzen Gäste ausgesetzt sieht.

Seine Neigung zum Brutalen teilt er mit dem alten Corregidora, dem portugiesischen Sklavenhändler, der wie ein »Indianer« aussah und sich – Ursas Ur-Großmutter und Großmutter vergewaltigend – mehrfach in ihren Stammbaum eingeschrieben hat. Wie ein dunkler Schatten liegen seine Schandtaten über diesem Roman. Nicht seine Opfer, sondern erst die Generationen danach schaffen es, über diese zu sprechen.

»Die brutalste, ehrlichste und schmerzhafteste Offenbarung dessen, was in den Seelen schwarzer Männer und Frauen passiert ist und passiert.«

James Baldwin

Ursa ist die Erste, die nicht von dem alten Missetäter abstammt. Und doch schreibt sich schon früh in dieser Geschichte die Gewalt in ihr Leben. Von Mutt bedrängt stürzt sie zu Beginn eine Treppe hinunter, die anschließenden Untersuchungen ergeben, dass sie infolge des Sturzes keine Kinder mehr bekommen kann. Ein weiterer Endpunkt in diesem unglücksträchtigen Verhältnis. »Ich hab ihn schon wegverflucht. Im Krankenhaus hab ich ihn wegverflucht. Ich hab jeden, den ich seh, für ihn gehalten und hab jeden, den ich seh, wegverflucht. Hab nur noch hochgekuckt und jeden verflucht.«

Gayl Jones: Corregidora. Gelesen von Joy Denalane. 352 Minuten. 23,00 Euro. Hier bestellen.

Bis zu diesem Einschnitt hätte mit Ursa eine neue, weniger gewaltvolle Familiengeschichte abseits des Corregidora-Schicksals beginnen können. Doch dies ist ihrer Generation noch nicht vergönnt. Ursas Körper wird auf andere Weise Landkarte männlicher Besitzansprüche – dieser überwältigende und rhythmische Roman erzählt aus ihrer Perspektive davon.

»Sie war eine Kombination aus Billie Holiday und Fannie Lou Hamer. Ergreifend, zerbrechlich und zum Niederknien.«

Toni Morrison

»Corregidora« ist ein fulminanter feministischer Befreiungsschlag, weil er das Unsagbare zur Sprache bringt und darüber hinaus als Hymne den Opfern der amerikanischen Sklaverei die Ehre erweist. »Das Beste an meinem Schreiben kommt eher vom Gehörthaben als vom Gelesenhaben«, soll Jones ihrem Doktorvater gegenüber ihren Stil erklärt haben. Der setzt auf das Black vernacular, die Schwarze Umgangssprache, in der sich Sprüche und Sprechweisen, Musik, Klänge und Bilderwelten der Black Community eingeschrieben haben.

Laut und melodisch besingt Jones in dieser ungeglätteten, aber überaus rhythmischen Sprache das Schicksal von Frauen wie Ursa, die trotz aller biografischen und alltäglichen Belastungen unbeirrt ihren eigenen Weg gehen. Und die sich mit allen Mitteln gegen die derb vorgetragenen Zuordnungen ihrer Welt zur Wehr setzen. »…entweder is man gut für die Brut oder gut zum Hurn. Zum Ficken unternander oder zum Ficken mit ihnen.«

Pieke Biermann hat den Roman – wie schon Fran Ross’ »Oreo« – grandios intuitiv übersetzt, so dass einem dieser musikalische Text so unvergesslich wie ein Song von Ma Rainey oder Billie Holiday ins Ohr geht. Noch deutlicher wird das, wenn man sich dem von Joy Denalane eingelesenen Hörbuch hingibt, in dem die Sängerin mit rauer Stimme den in Leben getränkten Text auf eine Audiospur hebt, die einen mit allen Sinnen in Happys Café und all die Absteigen entführt, in denen das Echo von Frauen wie Ursa hallt.

Gayl Jones hat insgesamt sieben Romane, zahlreiche Gedichte sowie Erzählungen und Bühnenstücke verfasst. 2021 erschien nach zwanzig Jahren Stille der Roman »Palmares«, der von der letzten Sklavensiedlung für Geflüchtete in Brasilien im 17. Jahrhundert handelt. Ihre Erzählung »The Birdcatcher« stand in diesem Jahr auf der Shortlist für den National Book Award for Fiction. Hier erscheint im Herbst 2023 ihr zweiter Roman »Evas Mann«, der von einer Frau handelt, die wegen des Mordes an ihrem Liebhaber in der Psychiatrie sitzt.

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