Vor zwei Wochen wurde Frank Witzels kühner Roman »Die Erfindung der Roten Armee Fraktion durch einen manisch-depressiven Teenager im Sommer 1969« als bester deutschsprachiger Roman des Jahres ausgezeichnet. Seither läuft die Buchpreis-Maschine auf Hochtouren, man hört von weiteren Auflagen, Hörbuch, Taschenbuch, Auslandslizenzen und schauspielerische Inszenierungen.
So ein Buchpreis bringt einiges an Trubel mit sich, das erfahren derzeit nicht nur Frank Witzel selbst, sondern auch sein Verlag Matthes & Seitz Berlin. Kürzlich widmete sogar die Berliner Morgenpost, nicht unbedingt für ihr Feuilleton bekannt, Verleger Andreas Rötzer ein Porträt. Darin wird ein Rötzer-Zitat überliefert, dass der Verleger selbst so gar nicht mehr gesagt haben will. So soll er in der zehnjährigen Verlagsgeschichte irgendwann einmal gesagt haben, dass er etwas falsch gemacht hätte, wenn er einen Bestseller im Programm habe.
Und nun ist er da, allein seit der Buchpreisvergabe sollen laut Buchreport 40.000 Vorbestellungen eingegangen sein. Entsprechend titelte die MoPo »Leben mit dem Jackpot« und schrieb in Unkenntnis des Geschäfts die Auszeichnung zur »Tellerwäscher-zum-Millionär-Geschichte« um. Dabei sind Millionen selbst mit dem Deutschen Buchpreis im Gepäck nicht zu scheffeln. Der Literaturbetrieb ist nach wie vor ein Risikogeschäft, erst recht für kleine und mittelgroße Verlage, wie Matthes & Seitz Berlin einer ist.
Das war auch umgehend nach der Preisverleihung zu spüren, als der ausgezeichnete Roman erst einmal zehn Tage lang nicht lieferbar war. Zwar hatte die Nominierung des Romans auf Long- und Shortlist bereits die zweite Auflage des 800-Seiten-Romans ermöglicht und die verkauften Exemplare auf 9.000 erhöht, nach der Preisverkündung waren die aber schnell ausverkauft. Dass der Roman nicht lieferbar war, habe nicht verhindert werden können, heißt es im Börsenblatt des Deutschen Buchhandels. »Es wäre [aber] vermessen gewesen, auf Verdacht zu drucken. Das Risiko wäre einfach zu groß«, erklärte der für den Vertrieb zuständige Sascha Eckart von Matthes & Seitz Berlin dort weiter.
Auf der Buchmesse in Frankfurt musste der Verlag die wenigen mitgebrachten Exemplare geradezu festhalten, um so manch renommiertem Literaturkritiker, der das Buch immer noch nicht gelesen hatte, noch eines mitgeben zu können. Seit knapp einer Woche sind nun Auflage drei und vier auf dem Markt, allein nur um die Vorbestellungen zu bedienen. So beläuft sich die Gesamtauflage momentan auf rund 50.000 Exemplare – es ist noch einige Luft nach oben, bedenkt man die mittleren bis hohen sechsstelligen Auflagen anderer mit dem Deutschen Buchpreis ausgezeichneter Romane wie etwa Uwe Tellkamps Der Turm oder Katharina Hackers Die Habenichtse. Und glaubt man Ingo Schulze, einem der frühesten Fürsprecher des Buches, der auch die Premierenlesung in der Akademie der Künste moderiert hat, dann kann Witzels fulminanter Roman mit diesen locker mithalten.
Zur steigenden Auflage beitragen mag auch die Berufung des Romans auf die Shortlist für den Bayerischen Buchpreis 2015, auf der neben Witzels dichtem Erzählteppich erneut Ulrich Peltzers Neoliberalismuskritik Das bessere Leben sowie Angela Steideles Romandebüt Rosenstengel konkurrieren. Steideles Buch ist ebenfalls bei Matthes & Seitz Berlin erschienen, einmal mehr ein Fingerzeig auf das anspruchsvolle Programm des Hauses.
Die Buchpreis-Maschine ist auch eine Stressmaschine, wie ein dennoch sehr ausgeglichener Frank Witzel auf der Buchmesse in einem kurzen Gespräch berichtete. Zum Feiern seien weder er noch der Verlag bislang gekommen, ein Presse- und Podiumstermin jagte den nächsten. Und wo der Autor auch immer auftrat, herrschte Gedränge – auch das bringt so eine Auszeichnung mit. Hundertschaften drängten sich in den Sälen und auf den Gängen der Frankfurter Buchmesse, wenn Witzel aufs Podium trat.
Wie sehr das auf den Buchpreis zurückgeführt werden kann, wird nur dem deutlich, der der Vorstellung des Romans mit Autor und Verleger auf der Leseinsel der jungen Verlage in Leipzig beiwohnte. Inmitten des Leipziger Messetrubels verfolgten gerade einmal zwei Dutzend Zuhörer ihr spannendes Gespräch. Die Masse strömte damals zur jahrelang ignorierten Gattung Lyrik, hatte doch Jan Wagner mit den in Regentonnenvariationen versammelten Maulbeeroden und Gierschgesängen den Preis der Leipziger Buchmesse gewonnen. (Dass sowohl Wagner als auch Witzel neben der diesjährigen Literaturnobelpreisträgerin Swetlana Alexijewitsch von Elisabeth Ruge entdeckt wurde, ist eine Geschichte, die an anderer Stelle erzählt werden muss.) Selbst die von Alban Nikolai Herbst moderierte Lesung beim Internationalen Literaturfestival in Berlin im September war nur mäßig besucht.
Neben der sprunghaft größeren Nachfrage geht mit dem Buchpreis noch ein anderer Mitnahmeeffekt einher. Schon kurz nach der Preisverleihung klingelten die internationalen Verlage im Berliner Verlagsbüro an, um sich die Rechte für die Übersetzungen des Romans zu sichern. Friederike Jakob, die die Presse des Verlags koordiniert, berichtete schon auf der Messe in einem kurzen Gespräch vom breiten Interesse an dem voluminösen Roman. Wie der Verlag bekanntgab, sind die Rechte in Frankreich an die Editions Grasset, in Dänemark an Forlaget Vandkunsten, in den Niederlanden an Lebowski Publishers sowie in China an das People’s Literature Publishing House vergeben, sogar eine arabische Ausgabe soll es geben. „Ob der Roman in Norwegen, Schweden, Italien, Spanien, Großbritannien und den USA erscheint, sei bisher noch ungewiss“, heißt es im Beitrag von Börsenblatt weiter.
Neben den Auslandsrechten startet nun auch die Inlandsvermarktung des Buchpreisromans. Das Taschenbuch wird im Herbst 2016 bei btb erscheinen, das gekürzte Hörbuch wird noch kurz vor Weihnachten vom Audiobuch-Verlag herausgegeben. Einlesen wird es Witzel selbst, der als Musiker ausreichend Erfahrungen zu Sprachmelodie und Betonung mitbringt. Wer bereits in den Genuss seiner Lesungen kam, kann das auch nur begrüßen, da der immer sachliche, aber stets nach vorne drängende Ton des Autors die Satzungetüme des Romans ideal in Einheiten aufteilt, die man auch ohne Roman vor Augen verstehen kann. Ob Witzel auch am Hörspiel mitwirkt, das im Juni 2016 beim Bayerischen Rundfunk laufen wird, ist nicht bekannt. Außerdem werden Maja Zade an der Schaubühne Berlin (ab April 2016) und Armin Petras am Staatstheater Stuttgart (ab Mai 2016) eine Bühnenfassung des Romans zur Aufführung bringen – man darf gespannt sein, wie das aussieht. Dem Verlag zufolge sollen auch die Filmrechte am Roman mehrfach angefragt worden sein.
Der mehr als 15 Jahre lang geschriebene Roman, eine rasante Achterbahnfahrt durch die Traumata der Bundesrepublik und das verwinkelte Erinnerungsgebäude seines ambivalenten Erzählers, eignet sich ideal für eine Verfilmung, die das Panorama der alten Bundesrepublik am Innenleben des Erzählers zu spiegeln wagt. Für das Drehbuch müsste man das »im besten Sinne maßlose Romankonstrukt« aufbrechen und einen Bilderreigen schaffen, der die »Mischung aus Wahn und Witz, formalem Wagemut und zeitgeschichtlicher Panoramatik« aufgreift, das Terrain der Geschichtsschreibung aber unbedingt meiden. Denn Frank Witzel begibt sich in seinem Roman »auf das ungesicherte Terrain eines spekulativen Realismus«, der zwar viel mit der BRD zu tun hat, die letztlich aber nur als Steinbruch für das »genialische Sprachkunstwerk« dient, das sein Roman darstellt. Letztendlich bleibt aber auch dann die große Frage, ob ein Drehbuch das von der Buchpreis-Jury in höchsten Tönen gelobte »hybride Kompendium aus Pop, Politik und Paranoia« erhalten kann.
Ein besonderes Vorhaben steht aber noch aus. Voraussichtlich wird Witzel am 8. Dezember im Berliner taz-Café mit dem Historiker und Philosophen Philipp Felsch – der mit Der Lange Sommer der Theorie. Geschichte einer Revolte. 1960 – 1990 in der Kategorie Sachbuch für den diesjährigen Preis der Leipziger Buchmesse nominiert war – ein Gespräch über die 68er, den deutschen Herbst und die alte Bundesrepublik führen. Ein erstes Zusammentreffen gab es bereits bei der Aufzeichnung von Studio LCB mit Frank Witzel, Philipp Felsch und Klaus Walter Anfang Juli für den Deutschlandfunk. In der von Maike Albath moderierten Sendung ging es aber mehr um Musik, als um die beiden Autoren und ihre fulminanten Werke, die sich ideal als Ausgangspunkt für ein solches Gespräch eignen. Witzels Verlag Matthes & Seitz Berlin plant, noch im Frühjahr das Gespräch zwischen Witzel und Felsch als Diskussionsband in der Batterien-Reihe herauszugeben.
Witzels Roman Die Erfindung der Roten Armee Fraktion durch einen manisch-depressiven Teenager im Sommer 1969 ist im Frühjahr 2015 erschienen, das Manuskript wurde bereits 2012 mit dem Robert Gernhardt Preis ausgezeichnet. Während umsichtige Kritiker wie Jan Drees bereits damals sein Fehlen unter den Kandidaten für den Preis der Leipziger Buchmesse monierten, konnten die eingesetzten Buchpreisblogger mit dem besten deutschsprachigen Roman des Jahres offenbar wenig anfangen. Auf ihrer Favoritenliste sucht man ihn vergeblich.
Am 12. Oktober gewann der Roman den Deutschen Buchpreis, er setzte sich in einer vieldiskutierten Endrunde gegen Jenny Erpenbecks Gehen, ging, gegangen, Rolf Lapperts Über den Winter, Inger-Maria Mahlkes Wie ihr wollt, Ulrich Peltzers Das bessere Leben und Monique Schwitters Eins im Andern durch.
Frank Witzels Die Erfindung der Roten Armee Fraktion durch einen manisch-depressiven Teenager im Sommer 1969 steht jetzt in einer Reihe mit Lutz Seilers Kruso, Terézia Moras Das Ungeheuer, Ursula Krechels Landgericht, Eugen Ruges In Zeiten des abnehmenden Lichts, Kathrin Schmidts Du stirbst nicht, Uwe Tellkamps Der Turm, Julia Francks Die Mittagsfrau, Katharina Hackers Die Habenichtse und Arno Geigers Es geht uns gut.
[…] das Unvorstellbare ist unvorstellbar, sondern das Vorstellbare«, heißt es im neuen Roman von Buchpreisträger Frank Witzel. Was zunächst absurd klingt, ist nichts weniger als die logische Konsequenz aus dem, was gemeinhin […]
[…] nicht genau zu sagen. Aber sollte das ein Schriftsteller nicht können, zumal einer vom Rang des Deutschen Buchpreisträgers? Über diesen Zweifel an der eigenen Berufung als Schriftsteller und über das Scheitern als […]
[…] Witzel zu lesen ist, man kann es nicht sagen, ein großes Abenteuer. Seit seinem vollkommen verdienten Triumph beim Deutschen Buchpreis 2015 mit »Die Erfindung der Roten Armee Fraktion durch einen manisch-depressiven Teenager im Sommer […]
[…] hatte mit seinem von popkulturellen Elementen durchdrungenen Erinnerungsroman vor wenigen Wochen den Deutschen Buchpreis erhalten, Felsch war mit seiner Geschichte über den Westberliner Merve Verlag mit dem Titel Der lange […]
[…] »Die Erfindung der Roten Armee Fraktion durch einen manisch-depressiven Teenager im Sommer 1969«, der 2015 mit dem Deutschen Buchpreis ausgezeichnet wurde. Bis vor kurzem war Witzels Roman der letzte gelungene Versuch, die bleierne Zeit zwischen Summer […]