Erzählungen, Klassiker, Literatur, Lyrik, Roman

»Wenn die Welt gefährlich wird, darf Literatur nicht harmlos sein«

© Thomas Hummitzsch

Der Klimawandel hat auch die Literaturszene in Berlin und Brandenburg erreicht. Ob das Revival des Nature Writing oder die Erfindung der Climate Fiction – diese Literatur hat das Potenzial, unseren Blick auf die Welt entscheidend zu verändern.

»Alles Schöne auf der Welt wird uns nicht vor dem KLIMAWANDEL bewahren.« »Natürlich hält sie den KLIMAWANDEL für ein schwerwiegendes Problem. Was sie lähmt, ist die Ansprache. »How dare you« statt »I have a dream«.« »Was weiß ich. Jules hat wohl in letzter Zeit oft gesagt, das Einzige, was man gegen den KLIMAWANDEL tun könne, sei, sterben zu lernen.«

Schaut man allein auf diese Zitate aus Nell Zinks Familienroman »Das hohe Lied«, Juli Zehs Dorfroman »Über Menschen« und Franziska Hausers Generationenroman »Die Glasschwestern«, die von kunstphilosophischen Auseinandersetzungen bis zur radikalsten Form des Kampfes gegen den Klimawandel reichen, könnte man meinen, der Klimawandel ist eine feste Größe in der deutschsprachigen Literatur.

Aber ist überall, wo KLIMAWANDEL drauf steht, auch Climate Change drin? Haben Fragen der Nachhaltigkeit, des Umweltschutzes und der Erderwärmung wirklich einen relevanten Einfluss auf den Literaturzirkus und oder setzen sie gar literarische Trends? Warum braucht es überhaupt eine Literatur, die die Welt im Wandel in Worte fasst? In welchem Spannungsverhältnis stehen dabei Stil und Moral? Und was machen Autor:innen aus Berlin und Umland aus all dem?

Tatsächlich ist es mit der deutschsprachigen Klimawandel-Literatur nicht ganz so einfach, nimmt man das literarische Feld seit Frank Schätzings Bestseller »Der Schwarm« – so etwas wie der Nukleus der deutschsprachigen Climate Fiction – in den Blick. Beispielsweise taucht in dem erst 2019 erschienenen Sammelband »2029 – Geschichten von Morgen«, in dem renommierte Autor:innen wie Emma Braslavsky, Dietmar Dath, Olga Grjasnowa, Clemens J. Setz oder Nis-Momme Stockmann über »eine nahe, eine vertraute Zukunft« spekulieren, keine einzige Erzählung mit Bezug zum menschgemachten Klimawandel auf. Zugegeben, in den Vorgesprächen wurde auf tech-affine cineastische Vorläufer wie Alex Garlands »Ex Machina« oder die Netflix-Serie »Black Mirror« hingewiesen, aber daraus hätte man ja auch Klimawandel-Erzählungen machen können.

Aber schauen wir erst einmal weiter zurück. Schon Bertold Brecht schrieb in seinem Gedicht »An die Nachgeborenen«: »Was sind das für Zeiten, wo / Ein Gespräch über Bäume fast ein Verbrechen ist. / Weil es ein Schweigen über so viele Untaten einschließt!« Das Gespräch über die Natur stand angesichts von Armut, Hunger und Not, von Krieg und Ideologie im Verdacht, ein verharmlosendes Bild der Welt zu zeichnen. Über diesen Verdacht ist die Literatur inzwischen erhaben, denn wenn das Gespräch auf Bäume oder die Natur als solche kommt, dann meist im Kontext ihrer Gefährdung – und damit der selbst verschuldeten existenziellen Bedrohung des Menschen.

»Wir stehen am Scheideweg«, warnte kürzlich der Club of Rome, der schon 1972 den »Irrweg der Menschheit« beschrieb. Nun legte der Zusammenschluss aus Expert:innen unterschiedlicher Disziplinen nach und forderte eine unmittelbare und radikale »Kehrtwende« der Wirtschafts-, Energie- und Nahrungsmittelsysteme, um den Klimakollaps zu verhindern. Die Menschheit steuert kollektiv auf den absehbaren Wahnsinn Klimawandel zu, weil Wirtschaft, Industrie und Gesellschaft weitermachen (dürfen), als gäbe es kein Morgen. Oder um es mit den Worten von Lukas Bärfuß zu sagen: »die Weltlage, verehrte Lesende, also alles, was in diesem Augenblick geschieht oder nicht geschieht, ist, man kann es leider nicht anders sagen, zum Kotzen.« So gelesen in seinem herausragenden Schriftenband »Stil und Moral«.

»Ein wichtiger Weg vom Wissen zum Handeln führt über die Ästhetik«, schreibt die Berliner Kunstwissenschaftlerin Birgit Schneider in dem lehrreichen Band »Klimabilder – Eine Genealogie globaler Bildpolitiken von Klima und Klimawandel«. Kunst und Literatur spielen also keine unwesentliche Rolle im Kampf gegen den Klimawandel. Wer aber über Umweltprobleme schreiben will, ist gleich mit mehreren Herausforderungen konfrontiert. »Umwelt sprengt sowohl zeitliche als auch räumliche Grenzen«, schreiben Patrick Durdel und Lena Pfeiffer in dem von ihnen mit herausgegebenen Sammelband »Literaturtheorie nach 2001«. »Statt lokal eingrenzbarer Orte gilt es, globale Zusammenhänge darzustellen; zeitliche Abläufe überschreiten die Lebens- und Vorstellungsspanne einzelner Individuen, werden oftmals in Erdzeitaltern gemessen und erstrecken sich nicht selten in eine unbekannte Zukunft.«

Außerdem ist die Temperatur als »eine der am häufigsten gemessenen oder geschätzten Parameter in der Geschichte der Menschheit« ein schwieriger Gesell, wie Kathrin Passig und Aleks Scholz in ihrem wunderbaren »Handbuch für Zeitreisende« zeigen. Das ist natürlich fatal, muss sie doch allzu oft als Maßstab herhalten. Eine Zeitmaschine wäre hilfreich, »um kritische Lücken in der Datenbasis zu füllen«, heißt es da. Birgit Schneider fügt dem noch einen weiteren Aspekt hinzu. »Niemand kann die Durchschnittstemperaturen seiner Klimazone spüren, ebenso wenig wie globale Bürger jemals die globale Durchschnittstemperatur von 14 Grad Celsius am eigenen Leib zu fühlen bekommen«, schreibt sie. Das Klima ist so nicht mit einer leiblichen Erfahrung verbunden, sondern entsteht »im Kreuzungspunkt globaler messtechnischer Netzwerke, die die Daten des Klimas erheben und zu einem Abstraktum zusammenführen.« Und weil es der direkten Wahrnehmung entzogen ist, ist ein Schreiben darüber schwierig.

Wie würde sich mein Leben in einer durchschnittlich zwei Grad wärmeren Zukunft anfühlen? Die Ausstellung im Züricher Strauhof will die Bedingungen und komplexe Zusammenhänge des gerade erscheinenden Anthropozän sichtbar und fühlbar machen. Geschichten und Gedichte erzählen von Hitze, Wasser und Gletschern, von drastischen Veränderungen und vom schwindenden Vertrauen zwischen den Generationen. Aber auch von Verantwortung und von der Hoffnung auf eine bessere Welt. Kann die Literatur uns helfen, zu verstehen, zu akzeptieren, zu handeln?

https://strauhof.ch/ausstellungen/climate-fiction/

Deshalb wird oft auf Katastrophen-, Regulierungs- und Einschränkungserzählungen zurückgegriffen. Regulierungen werden aber meist als Angriff auf die individuelle Freiheit empfunden; #veggieday, #tempolimit. Die Kommunikationswissenschaftlerin Samira El Ouassil und der Medienwissenschaftler Friedemann Karig fordern daher eine neue Form der Erzählung, »die uns die Klimakrise mindestens genauso persönlich nehmen lässt, wie vermeintlich unfaire Einschränkungen.« Zugleich plädieren sie für eine größere Klarheit. Der CO2-Abdruck etwa sei eine PR-Erfindung des Ölkonzerns BP, »um die Ursächlichkeit des Klimawandels und die Verantwortlichkeit weg von den Profiteuren hin zum Individuum zu verschieben«. In ihrem klugen Band »Erzählende Affen – Mythen, Lügen, Utopien. Wie Geschichten unser Leben bestimmen« schreiben El Ouassil und Karig, dass es einen literarischen Greta-Moment bräuchte, »einen »Green Narrative New Deal« mit neuen, ökologisch aufgeladenen Erzählungen«, die althergebrachte Muster aufbrechen und vernetzte Held:innen anstelle von Einzelkämpfer:innen in den Mittelpunkt stellen.

Angesichts der klimagestörten Gegenwart ist die Frage, ob man überhaupt noch zwischen Natur und Kultur eine klare Trennlinie ziehen kann. Die Literaturwissenschaftler:innen Durdel und Pfeiffer sind sicher, dass die theoretische Trennung »spätestens durch die handfesten Symptome des Klimawandels hinfällig geworden ist«. So müssen sich auch Verlage Fragen von Klimaschutz, Nachhaltigkeit und Ressourcenknappheit stellen. Der aktuelle Papiermangel trifft die Branche empfindlich. Manch Berliner Verlag hat sein Programm nur durch Crowdfunding sichern können. Die klimaneutrale Produktion von Büchern ist aber weitgehend Standard, immer mehr Verlage verzichten auf Schutzfolien beim Versand.

Mit dem Kjona-Verlag in München startet im Januar der erste »sozial-ökologischer Verlag«, der in allen Bereichen auf Nachhaltigkeit setzt. Das gesamte Buchprogramm soll mit Materialien produziert werden, die rückstandsfrei recyclebar sind. Außerdem setzen die Gründer Lars Claßen und Flo Keck auf Ökostrom und runderneuerte Geräte, selbst Webhosting, Telefonie und Internetzugang sollen klimaneutral sein. Mehr zu dem Thema wird möglicherweise der von Enno Stahl und Leonhard F. Seidl herausgegebene Band »Literarische und ökologische Praxis« aufzeigen, der 2023 im Verbrecher Verlag erscheinen soll.

Aber zurück zum »Green Narrative New Deal«. Der Berliner Mediziner und Psychosomatiker Joachim Bauer nimmt eine emotionale Entfremdung zwischen Mensch und Natur wahr und fordert, zu »fühlen, was die Welt fühlt«. Die natursensible Literatur wurzelt in der Tradition des Nature Writing, zu deren Klassikern die Schriften von Henry David Thoreau, Jean-Henri Fabre, John Muir oder Robert Macfarlane gehören. All diese Autoren haben bei Andreas Rötzer eine Heimat gefunden. »Nature Writing spricht nicht von der Natur als solcher, sondern von der durch Menschen wahrgenommenen, erlebten und erkundeten Natur«, erklärt er die Gattung. In seinem Verlag Matthes & Seitz Berlin versammelt. In dem ist auch die Reihe Naturkunden entstanden, die von Judith Schalansky verantwortet wird.

Schalansky ist selbst eine herausragende Naturkundlerin, wie ihr »Verzeichnis einiger Verluste« und mehr noch ihr »Atlas der abgelegenen Inseln« belegen. In letzterem heißt es zur pazifischen Insel Takuu etwa: »Der Meeresspiegel steigt. Die Winde drehen. Die Inseln sinken. Nach jedem Sturm ist der Strand schmaler. Ganze Landstücke verschwinden über Nacht. Schuld daran sind die wandernden Platten und das sich wandelnde Klima. … Takuu wird versinken, nächsten Monat, nächstes Jahr.«

Weil Schalansky für die Naturkunden immer wieder großartige englischsprachige Texte ausgrub, aber wenig deutschsprachige Texte fand, rief Verleger Andreas Rötzer den Deutschen Preis für Nature Writing ins Leben. Es ging ihm um die »Ermunterung deutschsprachiger Autor:innen, über Natur und Naturdinge zu schreiben«. Seit 2016 wird der Preis vergeben, mit Marion Poschmann, Sabine Scho, Ulrike Draesner und Esther Kinsky wurden bereits vier Berliner Autorinnen ausgezeichnet.

Kinsky, Draesner und Poschmann sind die Aushängeschilder des deutschen Nature Writing. Esther Kinsky erkundet in ihrem Schreiben wie keine andere die Landschaft und die Geografie. Werke wie »Am Fluß« oder ihre 2018 mit dem Preis der Leipziger Buchmesse ausgezeichneten Streifzügen durch Italien »Hain« sind Geländeromane ersten Ranges. In ihrem jüngsten Meisterwerk »Rombo« geht es um ein von Erdbeben »gestörtes Gelände, auf dem ein jeder nach Verlorenem sucht« und »der Mensch mit seinem Leben so klein wie der kleinste Stein im Fluss« wird.

Ulrike Draesner taucht von der Landschaft in die Geschichte, zuletzt in ihrem umwerfenden Langgedicht »Doggerland«, in dem »Europas westliches Herz nach dem Ende der letzten Eiszeit« spekulativ revitalisiert, indem sie gleichermaßen »durch jahrtausende starrt« und fast tröstend appelliert »hör schlicht auf das kurze klickern der planetenknochen«, bevor die Zukunft fast magisch untergeht. »als du das wasser kennst du nennst es / die zweite welt als du glaubst entkommen zu sein / wirst du ein drittes mal verwandelt und stößt als das licht wiedergekehrt / nicht als schrei nicht als pfeil niemals senkrecht in jenen raum der dich einzeln nimmt : du um du / vor dem rachen der sonne.«

Marion Poschmann gilt als eine der wichtigsten Vertreter:innen der Naturlyrik. Die Berlinerin beweist ihr Auge für das Wirken des Menschen in der Natur aber auch in Romanen wie »Die Kieferninseln« oder Essays wie dem im Januar 2022 mit dem WORTMELDUNGEN Literaturpreis ausgezeichneten Text »Laubwerk«. Ausgehend von der Färbung der Stadtbäume im Herbst wird der Baum zum Menetekel des Klimawandels. Statt »Städte so zu bauen, dass die alten Stadtbäume weiterhin existieren können«, suche man nach Baumarten, die die vom Klimawandel verursachten Bedingungen tolerieren.«

In ihrem klug komponierten Text stellt Poschmann eine wichtige Frage. »Wird sich mit dem Wandel des Weltklimas auch das Klima in der Kunst verändern?« Für den WORTMELDUNGEN Förderpreis durfte Poschmann Nachwuchsautor:innen die Ausgangsfrage für ihre Texte liefern. Sie lautete: »Vom Unsichtbaren schreiben, die Gegenwart sehen. Wie tritt der Klimawandel in Erscheinung?« Die zehn Texte, die dafür in der Endauswahl standen, bilden den Klimawandel in all seiner erschreckenden Vielfalt ab. Kunst könne »die scheinbare Selbstgenügsamkeit eines Ichs aufbrechen, das sich unbetroffen fühlt, weil es seine grundsätzliche Verbundenheit leugnet, und sie kann den (nichtpekuniären) Wert der verschwindenden Lebensräume, der verschwindenden Arten vor Augen führen«, ist sich Poschmann sicher.

Eine Art moralischen Auftrag an die Literatur findet der Literaturwissenschaftler Moritz Baßler schwierig. In seinem Analyse-Band »Populärer Realismus« kritisiert er die immer wieder vorgetragene ethische Forderung, dass gelungene Gegenwartsliteratur in relevanter Weise »zu den drängenden Problemdiskursen unserer Zeit« beitragen soll. Literatur müsse stattdessen für sich stehen, völlig unabhängig davon, ob sie die populären gesellschaftlichen Themen behandelt oder nicht.

Unabhängig davon ist die Veränderung der Kunst schon im Gange. In den letzten Jahren sind Texte entstanden, die sich mit den gravierenden Veränderungen der Natur aufgrund des menschlichen Wirkens auseinandersetzen. Annika Scheffel etwa schrieb mit »Bevor alles verschwindet« bereits 2013 einen eindrucksvollen Lausitz-Roman, der von abgebaggerten Landschaften und verlorenen Hoffnungen handelt. In ihrem zweiten Roman »Hier ist es schön« streifen die Figuren durch eine ausgebeutete und tote Landschaft, in der sie kaum noch Kontakt zur eigenen Identität herstellen können.

Im Roman »Leben ist keine Art mit einem Tier umzugehen« der Berlinerin Emma Braslavsky oder in »Das hohe Lied« der in Bad Belzig lebenden US-Autorin Nell Zink steht es auch nicht gut um die Welt. Aber hier tauchen die ersten Weltverbesserer auf, die sich mit Optimismus und radikaler Systemkritik für Tierwohl und gegen Umweltzerstörung einsetzen. Bei beiden Autorinnen sind es vor allem Komik und Sarkasmus, die in die Texte ziehen und am Ball bleiben lassen.

Aber ein Zurück zur Natur wird es nicht geben, die Romantik ist tot. Inzwischen hat die sogenannte Climate Fiction die Führung in der weltzugewandten Literatur übernommen. Für Janika Gelinek, die gemeinsam mit Sonja Longolius das Literaturhaus Berlin leitet, sind Gattungsdefinitionen aber »eher müßig, wo Texte darum ringen, die bedrohte Natur nicht nur zu fassen, sondern auch ihre Zerstörung anzuprangern – entsprechend interessieren mich persönlich auch Essays, Dystopien und Poetry Slam als alte und neue Ausdrucksformen engagierter Literatur.«

Deutschsprachige Autor:innen taten sich mit wenigen bemühten Ausnahmen – Ilija Trojanow schrieb schon 2011 mit »EisTau« einen Roman gegen die ideologische Leugnung der Klimaerwärmung, Karen Duves Politroman »Macht« nutzt den Klimawandel als Kulisse – dennoch lange schwer. Als hätte der Zustand der Welt zu einer Krise der Imagination geführt. Die Berliner Autorin Helene Bukowski, die ihren Survivalroman »Milchzähne« in einer dystopischen Klimawandel-Kulisse angelegt, hat dafür eine Erklärung. »Bücher sind einfach sehr langsam, das dauert halt. Wenn aber so ein Thema präsenter ist, dann fangen gleich Mehrere an zu schreiben.« Sie selbst hat gerade eine Erzählung zum Klimawandel im Bremer Literaturmagazin veröffentlicht, in der es heißt: »Das Wetter macht uns alle benommen. Selbst die Vögel sind still.«

Andere wie die Berlinerin Franziska Hauser oder die Wahlbrandenburgerin Juli Zeh nutzen den Klimaaktivismus als Form der Charakterzeichnung. In Franziska Hausers Generationenroman »Die Glasschwestern« ist Augusta, eine der Töchter der Hauptfigur Dunja, als Klimaaktivistin engagiert und zündelt mit konsequenten Forderungen. In Juli Zehs Roman »Über Menschen« engagiert sich Robert, der Freund von Hauptfigur Dora, derart verbittert für die Klimabewegung, dass Dora abhaut und aufs Land zieht. Der Potsdamer John von Düffel ist da gnädiger, er schlägt in »Der brennende See« den Handlungsbogen zur Fridays-for-Future-Bewegung, macht seine Figuren allerdings allzu ungefiltert zu Sprachrohren des Klimaaktivismus.

Ganz anders Roman Ehrlich, der in seinem für den Deutschen Buchpreis nominierten Ökothriller »Male« die Folgen einer Welt auf der Kippe in einem ebenso radikalen wie unterhaltsam sarkastischen Wurf in den Blick nimmt. Er versetzt seine Leser:innen in die Köpfe von Aussteiger:innen, die auf den Malediven genügsam und ganz in die eigenen Wünsche verstrickt zusehen, wie die Welt im Meer versinkt. Da sagt etwa ein übergewichtiger Romancier namens Adel Politha: »Es ist kein banaler Ort, um es ganz banal zu sagen. Der Untergang ist greifbar, er schwappt einem ja sozusagen schon in die Schuhe. … Was die Menschen hier zu verlieren haben, ist natürlich noch sehr viel mehr als ein paar Inseln im Indischen Ozean oder eine Heimat, die sie nie hatten. Was auf dem Spiel steht, ist das perfekte Versteck. Der Ort, an dem man sein kann, wer man wirklich ist, und nicht der, als den einen die andern sehen oder sehen wollen.«

Ähnlich mitreißend sind Matthias Senkels spekulative Erzählungen »Winkel der Welt«, die nicht nur in all jene führen, sondern auch über die natürlichen Kipppunkte der Welt hinwegfantasieren. Das ist nicht nur erzählerisch aufregend, sondern auch stilistisch spektakulär. »Alle Schatten waren geschmolzen und unter die Bankette geflossen. Der Asphalt warf Blasen. An den Spielregeln änderte das nichts«, heißt es etwa im als Modulsatz gestalteten Würfelspiel »Wetter«. Später liest man: »Was heißt schon schwül, wenn nicht viel fehlt, dass Fische durch die Luft gleiten könnten.«

Spektakulär ist auch, was die Lyrik zum Feld beiträgt. Steffen Popps Elementarlehre »118« erweist der Materie, aus dem das Leben ist, vielfach die Ehre, und verknüpft das mit Phänomenen der Gegenwart. Der Titel der Lyriksammlung motiviert sich aus dem Periodensystem der Elemente, das zum Zeitpunkt des Erscheinens 118 Elemente enthielt und von Popp in seiner Bedeutung leicht verschoben wird. Anstelle von Te wie Technecium tritt hier E wie Erde, Aus Fr für Francium wird Ks wie Krise und aus Nd wie Neodym wird Me wie Meer: »Winzig auf ungeheuer. Du redest verständlich / Kopfecho, aus denen Gehäusen. Rauschen / und Wolkentürme – die ersten Zwei. Gischt / Modus Containerschiffe. Seafarer, Modus Wal. / Frau und Herr Perlboot. Dr. Quastenflosser. / Hatten da Wasserschaden – Mikroappartement / mit Seeblick oder unbekannte Spezies belegen / über Nacht alle Strandplätze. Frau und Herr / Ausgestorben. Wir halten uns mit Witzen, über- / legener Technik noch ein paar Jahrhunderte. // Meer«

Jan Wagners in Leipzig ausgezeichneten lyrischen Gesänge auf den Giersch oder die Maulbeere sind unübertroffene Naturkunden. Der Berliner Dichter nimmt an anderer Stelle aber auch »Probebohrungen im Himmel« und schreibt über die widerstandsfähigsten Wesen der Erde. Etwa die Flechte, »die katastrophen / verschläft, die dürrezeiten, unbewegt, / bis sie ein tropfen / wasser nach jahrzehnten plötzlich weckt.« Und wenn er in der neuesten Ausgabe seiner beiläufigen Prosa »Der glückliche Augenblick« schreibt, »Dass der Garten der Musen von großen Stürmen verwüstet werden kann, ist mehr als wahrscheinlich – es ist sicher.«, darf man das durchaus vieldeutig interpretieren.

Wagner gehört neben Lisa Maria Schulz, Mikael Vogel, Noah Klaus und Ulrike Almut Sandig auch zu den Berliner Lyriker:innen, die an der aufregenden Anthologie »Poetry for Future« mitgewirkt haben, die »einen (Resonanz-)Raum für die Angst, die Trauer und die Wut auf unser zerstörerisches System« bietet. »wir werden uns / wünschen, wir könnten / unsere eigene parasitäre Art / im Morgennebel auflösen. / aber Vorsicht mit den Wünschen. / einmal wünschten wir uns / es käme einer, der machte / Wasser zu Wein. dem Wasser / ist es egal. wir werden uns / wünschen, den Jahr um Jahr / höher steigenden Pegeln / zu entrinnen, und sei es / an einem Tag in der Woche / freitags vielleicht«, heißt es da etwa in Ulrike Almut Sandigs Gedicht »vom wasser«, das sie den #FridaysForFuture-Klimaprotesten gewidmet hat.

Steckt im Schreiben über den Menschen in der Natur möglicherweise eine revolutionäre Kraft? »Wenn zu den bisherigen Motiven und Debatten noch stärker die Themen Energie und Klimagerechtigkeit in den Fokus geraten – und das tun sie im englisch- und französischsprachigen Raum – dann könnte das Nature Writing tatsächlich den Kern einer neuen engagierten Literatur bilden«, ist Andreas Rötzer überzeugt.

Ähnlich sieht das auch Martin Zähringer, Initiator des Climate Cultures Festivals in Berlin. »Das Nature Writing könnte vielleicht noch etwas mehr zur Lage der Situation aussagen, wenn es ästhetisch mehr aus sich macht und die klassischen Dispositionen verlässt. Wie sprechen Mikroben? Was ist die Sprache dieser sogenannten Natur? Die der Menschen kennen wir schon. Und die Climate Fiction wird sicher auch noch ganz, ganz hot, wenn sie die Gefahr in den Literaturbetrieb selbst trägt. Wenn die Welt gefährlich wird, darf Literatur nicht harmlos sein.«

Noch fehlen allerdings die Romane, die die Motive von Foodsharer:innen, Baumbesetzer:innen oder Klimaaktivist:innen einem breiteren Publikum zugänglich machen. Es braucht dringend Geschichten über die vernetzten Weltverbesser:innen unserer Zeit. Retten werden sie uns aber nicht.

»Ihr, die ihr auftauchen werdet aus der Flut / In der wir untergegangen sind / Gedenkt / Wenn ihr von unseren Schwächen sprecht / Auch der finsteren Zeit / Der ihr entronnen seid«, heißt es bei Brecht. Es liegt letztlich an uns, nicht an der Literatur, wie finster diese Zeiten im Rückblick sein werden!

Eine deutlich kürzere Fassung dieses Textes ist im Stadtmagazin tipBerlin erschienen.

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