Film

»Dreams (Sex Love)« gewinnt Goldenen Bären

Ella Øverbye, Selome Emnetu in »Dreams (Sex Love)« von Dag Johan Haugerud | © Motlys

Das Liebesdrama »Dreams (Sex Love)« des Norwegers Dag Johan Haugerud ist völlig zurecht zum besten Film der 75. Berlinale gekürt worden. Damit gewann nach zwei Jahren erstmals wieder ein Spielfilm das Rennen um den Goldenen Bären. Auch bei den Silbernen Bären hat die Jury viele gute und nachvollziehbare Entscheidungen getroffen.

Der Goldene Bär für den besten Film der 75. Berlinale ging an den norwegischen Film »Dreams (Sex Love)« des norwegischen Filmemachers Dag Johan Haugerud. Es ist der dritte und abschließende Teil der »Oslo Stories«. In der Film-Trilogie »Love – Sex – Dreams« setzt sich der Norweger mit den komplexen Fragen des menschlichen Miteinanders auseinander. Der erste Teil »Love« konkurrierte 2024 in Venedig um den Goldenen Löwen, der zweite Teil »Sex« wurde im vergangenen Jahr im Panorama der Berlinale gezeigt, der krönende Abschluss der Trilogie »Dreams« erhielt nun den Hauptpreis der Berlinale.

Damit ging auch eine Durststrecke des Spielfilms beim Festival zu Ende. In den vergangenen zwei Jahren wurden mit Mati Diops Kolonialismus- und Restitutionsfilm »Dahomey« und Nicolas Philiberts Portrait einer Anlaufstelle für geistig kranke Menschen in Paris »Auf der Adamant« jeweils ein Dokumentarfilm mit dem Goldenen Bären ausgezeichnet, weil das unterhaltende Kino die Jury nicht überzeugte.

Das nun ausgezeichnete zweistündige Drama, das im Mai unter dem Titel »Oslo Stories: Träume« in die Kinos kommt, erzählt die Geschichte der 17-jährigen Johanne (Ella Øverbye), die sich heimlich in ihre Lehrerin Johanna (Selome Emnetu) verliebt. Sie baut zu ihr ein vertrauensvolles Verhältnis auf und besucht sie in ihrer Wohnung, um von ihr Stricken zu lernen und Zeit mit ihr zu verbringen. In ihrem Tagebuch hält sie alles fest, was ihr in dieser Zeit durch den Kopf und das Herz geht. Dieser Mix aus Zärtlichkeit und Brutalität mit all ihrer Sehnsucht und Wärme, aber auch den Tränen und dem Schmerz gibt sie Raum. Und mit ihr der in warmen Farben gehaltene Film, der das Chaos aus Entschiedenheit und Verwirrung, Besessenheit und Zweifel, Zurückhaltung und Begehren ins Bild setzt.

Ella Øverbye, Selome Emnetu in »Dreams (Sex Love)« von Dag Johan Haugerud | © Motlys
Ella Øverbye, Selome Emnetu in »Dreams (Sex Love)« von Dag Johan Haugerud | © Motlys

Im Film wechselt sich diese im Rückblick erzählte, alles verändernde Erfahrung mit einer zweiten Erzählung immer wieder ab. Die handelt von der Verarbeitung dieser heimlichen Verliebtheit im Tagebuch. Denn als die zarte Verbindung zerbricht, öffnet sich Johanne ihrer Großmutter Karin (Anne Marit Jacobsen) und lässt sie ihr Tagebuch lesen. Karin ist als Schriftstellerin schnell von den intimen Aufzeichnungen und ihrer literarischen Qualität fasziniert. Sie setzt Johanne den Floh ins Ohr, dass man das veröffentlichen könnte, bereut es aber gleich wieder. Stattdessen fordert sie ihre Enkelin auf, ihre Mutter (Ane Dahl Torp) einzuweihen, damit sie ihr nichts vormachen müsse. Nach ersten Vorbehalten beginnen Mutter und Großmutter nicht nur, selbst über ihre ersten Erfahrungen und die Faszination der ersten Liebe zu philosophieren, sondern treiben eine Veröffentlichung der Notizen voran.

Ane Dahl Torp, Ella Øverbye, Anne Marit Jacobsen in »Dreams (Sex Love)« von Dag Johan Haugerud | © Motlys
Ane Dahl Torp, Ella Øverbye, Anne Marit Jacobsen in »Dreams (Sex Love)« von Dag Johan Haugerud | © Motlys

Dabei stellen sich nicht nur grundsätzliche Fragen über das Leben von Mutter und Großmutter ein, sondern auch grundsätzliche über das Eigenleben eines Textes. Wie lange bleibt die eigene Geschichte tatsächlich die eigene Geschichte, wenn man sie erst einmal teilt? Johannes Großmutter hat darauf eine einfache Antwort. »Gedanken und Träume können so aussehen und sein, wie man will«, sagt sie zu ihrer Enkelin. »Aber sobald man andere hineinlässt, nehmen sie eine andere Gestalt an.«

Jurypräsident Todd Haynes lobte den Film bei der Preisverleihung als eine außergewöhnliche Meditation über die Liebe, die gleichermaßen überwältigend eigen als auch universell sei. Er lobte die Zuversicht und Subversion, mit der Haugerud den Antrieb der Liebe und des Begehrens erkunde.

Dag Johan Haugeruds »Oslo Stories«

Dies gilt, soviel sei verraten, für die gesamte Trilogie, die hierzulande seltsamerweise nicht »Liebe – Sex – Träume« heißt, sondern den etwas biederen Titel »LiebeSehnsuchtTräume« trägt. Im April und Mai sollen alle drei Teile in den Kinos gezeicgt werden. In »Liebe« lässt sich eine erfolgreiche Ärztin auf den schnellen Sex mit einem Krankenpfleger ein, in »Sehnsucht« kegelt es zwei Männer aus ihrem heterosexuellen monogamen Leben, in »Träume« stehen nun mit Ausnahme eines Therapeuten, der wiederum eine spannende Rolle einnimmt, nur Frauen im Mittelpunkt.

Ane Dahl Torp, Ella Øverbye in »Dreams (Sex Love)« von Dag Johan Haugerud | © Motlys
Ane Dahl Torp, Ella Øverbye in »Dreams (Sex Love)« von Dag Johan Haugerud | © Motlys

Haugeruds Film war in vielerlei Hinsicht ein Highlight im Wettbewerb der 75. Berlinale, in dem sich viele andere Filme an den Krisen der Gegenwart und den von ihnen verursachten Neurosen abgearbeitet haben. Die komplexe Geschichte von Johanne und Johanna ist leichtfüßig erzählt, verbindet die Zerbrechlichkeit der ersten Liebe mit der Klarheit der Worte und versteht es zudem mit unerwarteten Wendungen in der Perspektive zu unterhalten. Ella Øverbye verkörpert die heranwachsende Johanne mit viel Gespür für die emotionalen Zwischentöne, die von der Kamera auch abseits ihres Gesichts eingefangen werden. »Dreams (Sex Love)« ist ein absolut würdiger Sieger, der sich nach den Flops der Vorjahressieger an den Kinokassen auch in den deutschen Filmsälen durchsetzen dürfte.

Ane Dahl Torp in »Dreams (Sex Love)« von Dag Johan Haugerud | © Motlys
Ane Dahl Torp in »Dreams (Sex Love)« von Dag Johan Haugerud | © Motlys

Von einem solchen Erfolg habe er nicht einmal zu träumen gewagt, sagte der norwegische Regisseur mit augenzwinkerndem Bezug auf seinen Filmtitel bei der Preisverleihung. Dabei hätte er durchaus ahnen können, dass sein Film gute Chancen auf einen Bären hat. Schon vor der Abschlussgala wurde sein Drama als bester Wettbewerbsfilm mit dem FIPRESCI-Preis für den besten Film im Wettbewerb durch die internationale Filmpresse und mit dem Gilde Filmpreis der Arthouse-Filmtheater ausgezeichnet. So einig waren sich die Filmexperten selten.

Ella Øverbye, Selome Emnetu in »Dreams (Sex Love)« von Dag Johan Haugerud | © Motlys
Ella Øverbye, Selome Emnetu in »Dreams (Sex Love)« von Dag Johan Haugerud | © Motlys

Ein Wunder ist das jedoch nicht. Von dem Abschlussfilm dieser Trilogie geht eine unheimliche Wärme aus. Der aber auch seine witzigen Seiten hat, vor allem wenn Karin und Kristin aufeinander treffen. Überaus geduldig beobachtet die Kamera von Cecilie Semec – die auch schon die ersten beiden Teile der Trilogie gefilmt hat – das Miteinander der Figuren, das voller überraschender und zarter Momente ist. Man ist selbst überrascht, wie gern man Johanne und Johanna dabei zusieht, wie sie sich in hyggeliger Atmosphäre über Wolle und Stricktechniken austauschen, Tee trinken oder in den Blicken der jeweils anderen hängenbleiben. Und wenn das Drehbuch den Figuren dann auch noch kluge Sätze wie »Wenn einen niemand will, fühlt man sich auch wie ein niemand« in den Mund legt, ergibt das einfach einen ziemlich perfekten Film, der völlig zurecht den Goldenen Bären 2025 gewonnen hat.


Die Silbernen Bären

Denise Weinberg und Miriam Socarrás in »The Blue Trail« von Gabriel Mascaro | © Guillermo Garza / Desvia
Denise Weinberg und Miriam Socarrás in »The Blue Trail« von Gabriel Mascaro | © Guillermo Garza / Desvia

Der Silberne Bär für den Großen Preis der Jury ging an den brasilianischen Film »The Blue Trail«, der erzählt, wie die lebensfrohe Tereza der faschistoiden Zwangspensionierung in ihrer Heimat aus dem Weg geht, indem sie sich auf die Socken macht, ihre persönliche Freiheit zu finden. Dieses mitreißende Abenteuer von Gabriel Mascaro macht in diesen düsteren Zeiten Hoffnung, dass das Leben am Ende stärker ist als die Angst vor der Dunkelheit.


Anika Bootz in »The Message« von Iván Fund | © Iván Fund, Laura Mara Tablón, Gustavo Schiaffino / Rita Cine, Insomnia Films
Anika Bootz in »The Message« von Iván Fund | © Iván Fund, Laura Mara Tablón, Gustavo Schiaffino / Rita Cine, Insomnia Films

Der argentinische Schwarz-Weiß-Film »The Message« von Iván Fund wurde mit dem Silbernen Bären Preis der Jury ausgezeichnet. Im Mittelpunkt dieses berührenden Road-Movies steht ein Mädchen, das mit Tieren kommunizieren kann, und dessen Großeltern, die sich rührend um ihre Enkelin kümmern. Ein leiser, perfekt ausbalancierter, ästhetischer und irgendwie auch rätselhafter Film, der einem noch lange durch den Kopf geht.


Wang Shang, Zhang Chuwen in »Living the Land« von Huo Meng | © Floating Light (Foshan) Film and Culture
Wang Shang, Zhang Chuwen in »Living the Land« von Huo Meng | © Floating Light (Foshan) Film and Culture

Der Silberne Bär für die Beste Regie ging an den chinesischen Filmemacher Huo Meng und dessen poetisches Drama »Living The Land«. Erzählt wird die Geschichte des zehnjährigen Chuang, der bei seinen Großeltern in der chinesischen Provinz lebt, während seine Eltern in der Millionenstadt Shengzen die Existenz der Familie absichern. In langsamen Bildern erzählt Mengs Film von den kleinen Dramen, in denen sich die großen andeuten.


Rose Byrne in »If I Had Legs I’d Kick You« von Mary Bronstein | © Logan White / © A24
Rose Byrne in »If I Had Legs I’d Kick You« von Mary Bronstein | © Logan White / © A24

Der Silberne Bär für die Beste Schauspielerische Leistung in einer Hauptrolle ging völlig zurecht an die australische Schauspielerin Rose Byrne. In Mary Bronsteins Drama »If I Had Legs I’d Kick You« spielt sie in einer absoluten Powerperformance eine quasi alleinerziehende Mutter, der die Decke ganz wortwörtlich auf den Kopf fällt. Konkurrenz hatte Byrne eigentlich nur in Ethan Hawke, der für seine beeindruckende Verkörperung des wortgewandten, aber verletzten Texters Lorenz Hart in der Broadway-Hommage »Blue Moon« von Richard Linklater leer ausging. Dafür wurde der irische Schauspieler Andrew Scott, der in dem Film den Komponisten Richard Rodgers spielt, mit dem Silbernen Bären für die Beste Schauspielerische Leistung in einer Nebenrolle ausgezeichnet.


Eszter Tompa, Adonit Tanța in »Kontinental ’25« von Radu Jude | © Radu Jude
Eszter Tompa, Adonit Tanta in »Kontinental ’25« von Radu Jude | © Radu Jude

Der Silberne Bär für das Beste Drehbuch ging an den rumänischen Filmemacher Radu Jude. Der hatte 2021 mit seinem Film »Bad Luck Banging or Loony Porn« den Goldenen Bären gewonnen, nun wurde er für das Drehbuch seines mit dem iPhone gedrehten Films »Kontinental ’25« ausgezeichnet. Der Film sei ein wertvoller Beitrag zu den politischen und philosophischen Diskussionen über die Entmenschlichung in der Gegenwart, lobte die Jury.


Marion Cotillard in »The Ice Tower« von Lucile Hadžihalilović | © 3B-Davis-Sutor Kolonko-Arte
Marion Cotillard in »The Ice Tower« von Lucile Hadzihalilovic | © 3B-Davis-Sutor Kolonko-Arte

Der Silberne Bär für eine Herausragende Künstlerische Leistung ging an die Französin Lucille Hadzihalilovic. Die Jury zeichnete die außergewöhnliche visuelle und stilistische Sprache in ihrem Film »The Ice Tower« aus.