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Sexualität: »Viele haben das Bedürfnis, zum Objekt zu werden«

Eva Tepest, Berliner Autor:in, Theatermacher:in und queer-lesbische Aktivist:in, wurde vom Berliner Stadtmagazin tip zu einer der 25 wichtigsten Newcomer:innen für 2023 angekündigt. In ihrem Debüt »Power Bottom« begibt sie sich selbstlos in die Echokammern der Lust und fragt nach dem Potenzial der unterlegenen Position. Ich konnte mit Tepest an einem sonnigen Berliner Nachmittag über die Faszination des Sexuellen, die Gefahr von Fantasien und queeren Aktivismus sprechen.

Eva, wenn man über Sex schreibt, hat man dann noch welchen oder vergeht einem die Lust?
Ich schreibe in dem ersten Essay schon süffisant, dass ich mehr über Sex nachdenke als Sex habe. Das gilt vermutlich nicht nur für mich, sondern für alle Menschen. Das Thema ist so aufgeladen, dass sich einfach viel von unserem Gedanken- und Gefühlsapparat um Sex im erweiterten Sinne dreht. Sex ist ja nicht nur ein Akt von zwei oder mehr Körpern, sondern auch Flirt und Verführung, wozu ich auch den Akt des Schreibens bis zu einem gewissen Grad zählen würde. In der Zeit, in der ich die Essays geschrieben habe, habe ich ein entspannteres Verhältnis zu Sex gefunden – sonst hätte ich diese persönlichen Essays auch nicht so schreiben können. Wenn man noch mitten in den Denkprozessen steckt und keinen Abstand dazu hat, stellt sich kein Flow ein. Damit ein Text funktioniert, muss er ästhetische Prozesse durchlaufen. Aber im Großen und Ganzen hat sich mein Sexleben gar nicht verändert. Das steht dann doch auf einem anderen Blatt.

»Mir ging es darum, Begehren in Sprache zu übersetzen beziehungsweise herauszufinden, was in diesem Spannungsverhältnis vor sich geht.«

Eva Tepest

Wird man, wenn man in diesen Denkprozessen steckt, distanzloser gegenüber anderen?
Natürlich gab es solche Momente, aber die hatte ich eher mit mir selber. Es ist ja nicht unproblematisch, jemanden nicht nur zur Muse des eigenen Schreibens, sondern zum sexuellen Versuchsobjekt zu machen und dann auch noch darüber schreiben zu wollen. Ich würde dann beim Sex auch schneller in einen Reflexionsmodus verfallen, in so eine unmittelbare Sex-Kritik. Wie war das jetzt? Wie hast du dich gefühlt? Wie habe ich mich gefühlt? Ich hatte Anfangs sogar überlegt, einen Schritt weiterzugehen und eine Art Versuchsanordnung zu schaffen, etwa noch einmal den Versuch zu machen, mit einem Cis-Mann zu schlafen. Ich wollte aber keine Entdeckungsreise dokumentieren, auch wenn das grundsätzlich eine interessante Form ist, man denke nur an Autor:innen wie Sophie Calle. Mir ging es darum, Begehren in Sprache zu übersetzen beziehungsweise herauszufinden, was in diesem Spannungsverhältnis vor sich geht. Ich habe mich auf das konzentriert, was am Schreibtisch passiert und was sich da mit Bezug auf Sex gefährlich oder lustvoll anfühlt.

Eva Tepest: Power Bottom. Essays über Sprache, Sex und Community. März Verlag 2023. 165 Seiten. 18,00 Euro. Hier bestellen.

Wie bist Du dabei vorgegangen?
Ich habe viel gelesen, mich viel unterhalten und eigene Erfahrungen gemacht – in diesem Dreieck bewegen sich auch meine Texte. Ich bin viel in den Intimbereich von Kindheit und Jugend zurückgegangen. Also ich habe mich an Dinge, die ich schon mal gedacht oder erfahren habe, erinnert und festgestellt, dass seither eine leichte Verschiebung stattgefunden hat. Und diese kleine Verschiebung ermöglicht einen neuen Blick. Es ging mir um lustvollerer und ironischere Perspektiven.

Subjektives Begehren und gesellschaftliche Normen stehen in einem enormen Spannungsverhältnis. Kann man denn gesellschaftliche Verhältnisse in sexuellen Begegnungen wirklich auflösen?
Ich würde nicht von auflösen sprechen, aber davon, dass man sie verschieben oder ironisieren kann. Und das ist wichtig, denn wenn es mehr Nachsicht und Akzeptanz dafür gibt, dass wir nicht eindeutig begehren und keine eindeutigen Geschlechtsidentitäten haben, kann das meines Erachtens vielen Menschen helfen. Marginalisierte Personen, die Transfeindlichkeit, Queerfeindlichkeit oder Lesbenfeindlichkeit erleben, stellen offenbar eine Bedrohung dar, sonst würden sie nicht angefeindet.

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Nymphomaniac | © Christian Geisnaes

Verstehst Du den Wunsch nach Eindeutigkeit?
Natürlich verstehe ich das, ich kenne das ja auch selbst. Als ich den ersten Essay geschrieben hatte, war ich in einem Keramikstudio und habe auf einen Ton-Teller den Satz »I’m scared of being straight« geschrieben und damit meine Angst, heterosexuell zu sein, festgehalten.

Wie äußert sich diese Angst?
Das fängt bei sexuellen Fantasien, die nicht queeren Bildern entsprechen, an und reicht bis zum Wunsch zu heiraten, was aus linker und queerer Perspektive aber problematisch ist. Ich kann die Sehnsucht nach Eindeutigkeit also sehr gut nachvollziehen, aber das ist der Widerspruch, in dem wir alle leben. Wenn ich jeden Morgen anders als am Vorabend begehren würde, würde ich wahnsinnig werden. Der pragmatische Wunsch oder das Bedürfnis nach einer gewissen Kontinuität in Beziehungen und Lebensweisen ist absolut zu verstehen. Problematisch wird es aber, wenn dieses Bedürfnis in ein gewaltvolles Extrem kippt, in dem wir weder uns noch anderen Flexibilität zugestehen. Ich frage mich manchmal, was wäre eigentlich, wenn ich mich jetzt, wo ich in einer gewissen Szene eine öffentliche lesbische Figur bin, in einen cis-Mann verlieben würde. Ich wünsche mir, dass ich dann auch nicht streng zu mir bin, aber das würde natürlich ganz schön viel in meinem Leben durcheinander wirbeln.

»Für mich ist spannend, aus dem engeren sexuellen Bereich rauszugehen und zu schauen, was für ein Potential in der Vorstellung, in einer scheinbar unterlegenen Position zu sein, liegt.«

Eva Tepest

Was genau versteckt sich hinter dem Titel »Power Bottom«?
Ich habe den nicht erfunden, es gibt unzählige Memes, die die Banalität von Top und Bottom ironisieren. Für mich ist spannend, aus dem engeren sexuellen Bereich rauszugehen und zu schauen, was für ein Potential in der Vorstellung, in einer scheinbar unterlegenen Position zu sein, liegt. Ich glaube, darin liegt eine große Chance. Denn oft sind wir beides. Ich bin sehr privilegiert, ich bin weiß, habe ein Wohnung und einen deutschen Pass. Das sind alles Privilegien. Zugleich habe ich mich in sexueller und geschlechtlicher Hinsicht den Lebensläufen, die mir vorgelebt und nahegelegt wurden, nie zugehörig gefühlt. Ich stand immer irgendwie außen. Durch dieses Außen-Sein, dieses Gefühl der Nichtzugehörigkeit, stellen sich überhaupt erst viele Fragen, die sich sonst nicht stellen. Da wir aber mehrheitlich immer noch von weißen heterosexuellen cis-Männern regiert werden, die diesen Blick von außen nie haben, ist es so schwer, gesellschaftliche Veränderungen herbeizuführen. Power Bottom bedeutet für mich genau dieses Potential. Welches Wissen kann ich darüber herstellen, in einer vermeintlich unterlegenen Position zu sein? Und was weiß ich von den anderen? Die Person, die Homofeindlichkeit ausgesetzt ist, weiß mehr über den Angreifer als der Angreifer über sie, denn in dem Angriff wird die Angst des Angreifers so sichtbar wie nie.

Es gibt in meinen Augen auch eine persönliche Dimension dieses offensiven Umgangs mit der eigenen Unterlegenheit. In dem Moment, in dem Du selbstbewusst dazu stehst, machst Du Dich von der Scham frei, die damit assoziiert wird.
Das ist der Witz an dem ganzen Buch. Wenn ich Menschen davon erzähle, was da so drin steht, sagen viele, dass sie sich das nicht getraut hätten. Oder sie fragen mich, ob ich denn keine Angst vor den Reaktionen habe. Aber darin liegt ein Missverständnis. Denn ich weiß ja genau, was ich tue. Das ganze Buch ist in dem Sinne ein gewisser Power-Bottom-Move. Es gibt ein Spiel mit dieser Offenbarung und diesem »Seht her, da bin ich!«. Es ist viel Arbeit in den ästhetischen Prozess des Schreibens und in die Frage geflossen, was ich mit dem Text für ein Gefühl hervorrufen will. Deshalb fühle ich mich damit jetzt sicher und selbstbewusst. Sollte es abwertende Reaktionen geben, sagen die auch wieder mehr über die Absender:innen dieser Reaktionen aus als über mich.

Ellen von Unwerth: »Fräulein« 6 | © Ellen von Unwerth

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© Ellen von Unwerth

Zumal es ja immer noch das Spannungsverhältnis zwischen Fantasie und Wirklichkeit gibt.
Absolut richtig. Fantasien scheinen mir dem Spannungsabbau zu dienen, der Hingabe in einen Exzess, bei dem man ohne irgendein Gegenüber irgendwelchen Dingen nachgehen kann, auch Extremen. In der Wirklichkeit funktionieren Fantasien für mich aber nicht. Denn mir geht es in der sexuellen Begegnung darum, gemeinsam Dinge zu entdecken, die noch nicht da sind und nicht darum, bestehende Fantasien in irgendeine Wirklichkeit zu übersetzen. Sonst ist Sex ein Fetisch. Das heißt nicht, dass es gar keine Berührungspunkte gibt, aber im Großen und Ganzen liegen für mich Fantasie und Wirklichkeit auf unterschiedlichen Ebenen. Nichts desto trotz habe ich mit meinen Fantasien auch lange gehadert und Schwierigkeiten gehabt, sie anzuerkennen. Ich würde nicht einmal behaupten, dass ich sie jetzt voll und ganz akzeptiere, aber ich bin ein bisschen entspannter und weniger streng mit mir geworden.

Dazu muss man wissen, dass Du von Vergewaltigungsfantasien sprichst.
Die, wenn ich mit Flinta*-Personen spreche (Flinta* steht für Frauen, Lesben, intergeschlechtliche, nichtbinäre, trans und agender Personen), stark verbreitet sind. Und natürlich weckt das innere Widerstände, weil das so ziemlich das Antifeministischste ist, was man sich vorstellen kann. Aber ich würde schätzen, dass 95 Prozent aller Flinta*-Personen, mit denen ich darüber gesprochen haben, haben diese Fantasie gehabt. Ich weiß nicht, wie viele cis-Männer diese Fantasie haben, aber ich würde behaupten, dass es da auch viele gibt, die Überwältigungsfantasien haben.

Hat das vielleicht auch etwas damit zu tun, dass Menschen, die permanent die Verantwortung für ihre eigene Identität oder ihr eigenes Sein verteidigen müssen, wie es bei queeren Menschen der Fall ist, sich danach sehnen, mal nicht verantwortlich zu sein?
Ja, es geht um das Bedürfnis, zum Objekt zu werden und so gehändelt zu werden. Viel von unserer gelebten Sexualität dreht sich ja auch darum. Ich schreibe darüber auch in dem Essay, der ganz am Anfang entstanden ist. Würde ich heute noch einmal über dieses Thema schreiben, hätte das vielleicht schon einen etwas anderen Schwerpunkt. Grundsätzlich will ich aber ein Gefühl vermitteln, dass es nicht falsch ist, wenn man sich so etwas vorstellt. Es ist nachvollziehbar, wenn man sich eine gewisse Varianz in seinen Fantasien erlaubt. Wären Fantasien immer gleich, würden sie irgendwann einfach nur langweilig werden.

Kamaji Ogino via pexels.com

Im Buch spielen Angst und Scham eine prominente Rolle. Du schämst Dich dafür, Bottom zu sein, und sprichst über Deine Angst, nicht queer genug zu sein? Woher kommen diese ambivalenten Gefühle?
Ich bin in einem katholisch-ländlichen Setting aufgewachsen, wo es außer meiner jüngeren Schwester und mir keine queeren Personen gab. Es wurde natürlich immer über andere gemunkelt, aber es gab keine Rollenvorbilder. Das erste Mal kam ich mit queeren Verhältnissen in Kontakt, als ich mit 13 oder 14 Jahren auf meinem eigenen Laptop Serien wie »The L-Word« gesehen habe. Aber das, was ich da sehen konnte, war auch nicht wirklich anpassungsfähig für Teenage-Life in der westdeutschen Provinz. Ich bin einfach mit einer riesigen Angst aufgewachsen, bisexuell, lesbisch oder in die beste Freundin verliebt zu sein. Das hat sich erst geändert, als ich mit Mitte zwanzig in Schweden gewohnt habe. Ich studierte damals in Malmö, eine richtig lesbische Stadt. Die queere Szene wird dort von Lesben dominiert, wie ich das an keinem Ort jemals wieder erlebt habe. Diese Zeit war für mich extrem wichtig. Ich habe bei einer Lesbe gewohnt, es gab ein lesbisches Kino, ein lesbisches Festival und so weiter. Ich konnte mich komplett in diesem Setting bewegen. Diese Selbstverständlichkeit habe ich davor nicht gekannt.

»Es ist nachvollziehbar, wenn man sich eine gewisse Varianz in seinen Fantasien erlaubt. Wären Fantasien immer gleich, würden sie irgendwann einfach nur langweilig werden.«

Eva Tepest

Und was ist aus der Scham geworden?
Aus der aufoktroyierten Scham, die die Homo-, Lesben- und Queerfeindlichkeit nach wie vor ausstrahlt, habe ich Praktiken, Muster oder Gewohnheiten entwickelt, die mir dann selbst Lust bereitet haben. Beispielsweise war es eine zeitlang ein Ding, dass ich was mit Frauen angefangen habe, die mit mir ihre erste lesbische Erfahrung gemacht haben. Dem haftet immer etwas Verbotenes oder Transgressives an – für die Frauen meist mehr als für mich. Überspitzt formuliert haben in meiner Jugend alle Angst davor gehabt, dass ich eine Lesbe bin und plötzlich sind diese ganzen bürgerlichen Femmes darauf abgefahren beziehungsweise habe ich es in ihnen hervorgebracht. Ich glaube, die ganze queere Kultur in Filmen oder Serien rankt sich um diese Scham und macht aus der Not eine Tugend. Weil es in der Form von Humor zu etwas Lustvollem werden kann. Was anderes bleibt marginalisierten Gruppen oft kaum übrig.

Es geht in den Essays auch viel darum, wie man queer schreibt und was dieses Schreiben mit Biografie und Erfahrung zu tun hat. Kann man als queere Aktivistin ein lineares Coming-Of beziehungsweise Coming-Out schreiben?
Man kann schon auf ein klassisches Coming-Out-Narrativ zurückgreifen, in der die Held:in mit Widerstanden zu kämpfen hat und darüber zu etwas Neuem findet. Das ist ja eine ganz klassische Dramaturgie. Diese Art Narrativ steckt ja auch in uns allen drin. Aber ich hadere in meinen Texten damit, mache das an manchen Stellen auch transparent. Es braucht eine Abfolge von Worten und es gibt immer eine gewisse Dramatik, um etwas sinnstiftend zu erzählen. Ich glaube aber, dass es für queere Person zu wenig Geschichten gibt, auf die wir zurückgreifen können. Das ändert sich natürlich langsam, aber es ist immer noch viel zu wenig. Deswegen beschäftigt mich das so sehr.

Die Essays sind spannend, aber auch manchmal sperrig. Wie schwer war es, einen Verlag zu finden?
Als meine Agentin die Essays ein paar Verlagen angeboten hat, haben einige gesagt, dass ich die Texte stärker verbinden, dem ganzen einen roten Faden geben soll. Die haben das nicht gesagt, um mich zu ärgern oder weil sie die Texte blöd fanden, aber in dem Gefühl, dass Leser:innen Geschichten über Queerness wollen, die aber zugänglich sein soll. Und zugänglich bedeutet eben immer noch, ein bestimmtes Narrativ zu bedienen. Ein Narrativ, das von Hindernissen handelt, die überwunden werden. Aber genau das wollte ich nicht und weil ich bei der Form bleiben wollte, habe ich mich umso mehr gefreut, dass genau das zum März-Verlag gepasst hat.

Ich kann mir auch vorstellen, dass ein:e Debütant:in, die über queere Sexualität schreibt, auch einige abgeschreckt hat.
Natürlich ist es ungewöhnlich, in Deutschland mit Essays statt mit einem Roman zu debütieren. Zumal wenn die von Sex handeln und Queerness nicht in eine einfache Schublade stecken. Ich habe zum Glück nicht so viel darüber nachgedacht, was passiert, wenn ich damit nach außen gehe. Ich wusste, dass ich diese Texte nicht besser schreiben kann. Und da kamen dann später schon so Gedanken, dass, wenn es damit nicht klappt, ich in diesem Betrieb einfach kein:e Autor:in sein kann.

Wie kam es denn überhaupt dazu, dass Sex zu Deinem Studienobjekt wurde?
Ich glaube, Sex ist etwas, das sich immer der Erklärung entzieht. Die eigene Sexualität, das eigene Begehren, lässt sich nie restlos fassen.

Und wenn, dann macht es keinen Spaß mehr.
Genau, dann macht es keinen Spaß mehr, weil man es total beschnitten und Graubereiche weggeschoben hat. Es gibt in meinen Augen immer ein Spannungsverhältnis zwischen Sprache und ihrem Objekt, aber bei Begehren ist dieses Spannungsverhältnis besonders stark. Gerade deswegen hat mich das Unterfangen so interessiert. Ein Unterfangen, das von Anfang an zum Scheitern verurteilt war und wo auch nicht das Ziel war, am Ende eine kohärente Theorie zu präsentieren. Meine Essays bieten kein Programm, mit dem man Politik machen kann, wenngleich es natürlich Impulse gibt, die hoffentlich emanzipatorisch sein können. Das treibt mich auch intellektuell an. Aber letztlich hat mich dieses Thema gereizt, weil man damit nie fertig wird. Sexualität ist einfach ein Lebensthema.

Du begibst Dich mit diesen Essays in doppelter Hinsicht in eine herausfordernde Position. Zum einen thematisch, das Feld Sexualität ist weit und hart umkämpft. Zum anderen aber literaturhistorisch. Schaut man, welche anderen Autor:innen über queere Sexualität schreiben, dann landet man bei Susan Sontag, Eileen Myles oder Carolin Emcke. Hat Dir das keine Angst gemacht?
(lacht) Während des Schreibens war ich in einem Tunnel, das war ein sehr geschützter Raum. Ich hoffe, man merkt, dass meine Essays auch als Hommage zu verstehen sind und die Autor:innen, mit denen ich mich beschäftigt habe, nicht nur eine bloße Fußnote oder Referenz sind, sondern wirklich auch eine zentrale Bedeutung für mich als Autor:in haben. Eileen Myles beispielsweise taucht in fast jedem dieser Essays auf, sie ist ein ganz wichtiger Einfluss. Und ja, ich mag auch irgendwie diesen größenwahnsinnigen Gestus. Ich bin so als Person, einerseits super introvertiert und andererseits stelle ich mich in Badehose in der Schaubühne auf die Bühne. Irgendwie kann ich diesen Widerspruch auch nicht auflösen.

»Ich glaube, Sex ist etwas, das sich immer der Erklärung entzieht. Die eigene Sexualität, das eigene Begehren, lässt sich nie restlos fassen.«

Eva Tepest

Wir hatten es gerade vom Spannungsverhältnis zwischen Sexualität und Fantasie. Sind unsere Gedanken und Fantasien wirklich so frei, wie es das Volkslied uns glauben macht?
Ich glaube, unsere Gedanken sind nie frei. Das Höchste der Gefühle besteht darin, der Realität einen ironischen Twist zu geben.

Was ist aus dem Pornoskript für Erika Lust geworden?
Ich kann hier offenlegen, dass ich dieses Skript nie abgeschickt habe. Vielleicht sollte ich es doch mal machen. Aber auch hier interessiert mich mehr das Spiel mit der Behauptung, das zu machen, als es dann wirklich zu tun. Denn letztlich glaube ich, dass man mit einem Roman mehr Geld verdient als mit einem Porno-Skript für Erika Lust.

Du hast auch im Büro eine Bundestagsabgeordneten gearbeitet, bist als Beraterin aktiv und machst Theater. Wie definierst Du Dich in Deinem Schaffen?
Mich interessiert immer noch am meisten die Sprache. Ich würde mir bei der Theater- und Performancearbeit zwar wünschen, ein bisschen freier und ungehemmter zu sein und mehr in die Körperarbeit zu gehen, aber letztlich ist es stets ein Satz in meinem Kopf, der alles Weitere auslöst. Und auch im Bundestag drehte es sich ja mehr oder weniger darum, den Leuten bestimmte Narrative unterzujubeln. Ich sehe mich als Autor:in, das ist schon ziemlich passgenau.

In Deinem Essay »Queerness als Metapher« geht es um die Zusammenhänge von Gender/Sexualität und politischem Engagement. Du willst queere Banden bilden, um Sichtbarkeit zu schaffen. Ist Queerness nicht längst Mainstream?
Ja, Queerness ist im Mainstream angekommen. Aber es sind immer noch bestimmte Narrative, die da bedient werden sollen. Ich mache mit Lynn Takeo Museol zusammen die Reihe Dyke Dogs in der Schaubühne. Ausgangspunkt war unser Gefühl, das es in Berlin zwar viele queere Theater-Formate gibt, die aber sowohl politisch als auch ästhetisch eine ganz bestimmte Art von Queerness zur Aufführung bringen. Uns fehlte eine bewusste Auseinandersetzung mit lesbischer Geschichte, ein Format mit Augenzwinkern, das sich nicht so leicht festlegen lässt. Deshalb haben wir damit angefangen. Und die Resonanz ist riesig. Die Veranstaltungen sind immer nach zwei Tagen ausverkauft. Zur Auftaktveranstaltung im LCB letzten Herbst kamen so viele Leute wie sonst nur bei Daniel Kehlmann, sagte uns der Programmleiter Thorsten Dönges. Ein Haus voller Lesben am Wannsee, das hatte wirklich etwas Utopisches.

Welche Rolle spielen die Dyke Dogs?
Dyke Dogs machen wir in der Hoffnung, Leute zusammenzubringen. Wir wollen Verknüpfungen fördern, die über den einzelnen Abend hinaus anhalten, und ein Gefühl vermitteln, dass wir nicht alleine sind. Wir vermitteln dabei auch ganz viel brachliegendes Wissen. Ich arbeite ehrenamtlich im Spinnboden Lesbenarchiv und es ist Wahnsinn, was es da alles gibt. So vieles, was auch ich nicht kenne, obwohl ich behaupten würde, eine Expertin zu sein. Da kann man sich zu jedem Bereich – Sport, Psychologie und und und – alles Mögliche finden, sich vertiefen, Doktorarbeiten drüber schreiben. Es gibt eine so immense Wissenslücke. Das ist ja auch ein Thema für mich, dieses Changieren zwischen lesbischem Aktivismus, Theorie der Siebziger bis heute und Literatur, die nicht mehr vorliegt. Monique Wittig, um ein Beispiel zu nennen, ist ja an sich keine Unbekannte. Aber es gibt einfach keine verfügbaren Texte. Wenn man Glück hat, findet man mal etwas Antiquarisches. Es gibt also noch ganz viel, was im Mainstream, aber auch in der Subkultur fehlt.

Gibt es da eine Offenheit in den Institutionen, das Schließen solcher Lücken zu fördern?
Bei der Schaubühne oder im LCB haben wir das Glück gehabt, dass es Leute gab, die offen sind. Die Budgets sind zwar nicht riesig, aber wir können machen, was wir wollen. Die Offenheit ist schon da, aber man braucht Allies. Denn woher soll eine heterosexuelle Dramaturg:in, die ein lesbisches Format haben will, wissen, wie das aussehen soll und wen sie fragen kann? Da braucht es Impulse von außen.

»Lesbische Geschichte hat immer in größeren Netzwerken stattgefunden.«

Eva Tepest

Im Zusammenhang mit den Dyke Dogs fällt der Satz, die Geschichte der Lesbe sei immer auch eine Geschichte des Hundes. Was hat es damit auf sich?
Das verknüpft sich schon ein wenig mit diesem »Banden bilden«. Quasi Rudelbildung als Ergänzung zur Bandenbildung mit einem animalistischeren Touch, der für Berührung und Dasein steht. Lesbische Geschichte hat immer in größeren Netzwerken stattgefunden. Wir kennen jetzt zwar nur noch Einzelpersonen, wenn überhaupt, die Texte geschrieben haben, aber es gab immer Verbindungen, auch zwischen Schwulen und Lesben. Und auch wenn das Buch unter meinem Namen erscheint, war es mir wichtig, mit Lynn (Takeo Musiol) den abschließenden Text zu schreiben. Das ist auch eine Anerkennung unserer gemeinsamen Arbeit und holt Dyke Dogs mit in das Buch. Für mich sind diese verschiedenen Formen meines Schaffens auch gar nicht getrennt denkbar.

Du schreibst, dass Du gern Sport-Influencer:in wären. Das sind meist junge Leute, die auf Tiktok Videos ihrer Crunches teilen und erklären, wie sie rank und schlank bleiben. Irgendwie bekomme ich das nicht zusammen.
Nein? Sehe ich nicht so aus? Ich zeige gleich mal eine Oberarme (lacht). Ich suche schon eine Weile eine queere Workout-Gruppe. Kürzlich war ich mit einer queeren Bekannten in einem Fitnessstudio, wo die Leute wirklich wie Fitness-Influencer:innen aussehen. Ich brauchte an manchen Geräten jemanden, der mir das zeigt und habe keinen Bock gehabt, zu einem dieser Fitnesstrainer zu gehen, auf dessen Stirn schon »Tits and Ass« steht. Das ist also eher eine Frage der würdevollen Praxis als etwas Subversives. Und zugleich auch ein Spiel damit, wie ein Körper aussehen und welche Körpererfahrungen man durch Sport machen kann. Das kann ja auch empowernd sein. Und um Empowern geht es den Dyke Dogs eben in allen Bereichen.

In dem ersten Essay schreibst Du, dass Du gehofft hast, Sex besser zu verstehen, wenn Du darüber schreibst, musst aber dein Scheitern einräumen. Wie ist es jetzt?
Ich habe auf jeden Fall meine Fragen schärfen können. Ja ich habe für mich selbst zufriedenstellendere Fragen. Und das ist schon mal eine ganze Menge.

Mehr zu Eva Tepest auf Ihrer Website http://evatepest.net/ und https://evantepest.com/.