Saša Stanišić hat mit seinem uckermärkischen Dorfroman »Vor dem Fest« den Preis der Leipziger Buchmesse gewonnen. »Der Schatten des Fotografen« des Kulturwissenschaftlers Helmut Lethen ist das beste Sachbuch des Frühjahrs. Robin Detjes Übersetzung von William T. Vollmanns »Europe Central« wurde als »berserkerhafte« Übertragung ausgezeichnet.
Der Juryvorsitzendes des Preises der Leipziger Buchmesse Hubert Winkels lobte die lauten Leipziger Messehallen? Literatur müsse laut sein. Leise Töne seien unangebracht, es müsse scheppern und klirren, wenn die Literatur das Ruder übernimmt. Winkels betonte die Lärmkraft des literarischen derart vehement, dass man fürchten müsste, die noch kommenden Laudationes würden zu Laut-ationes umgemünzt.
Das Donnerwetter der vergangenen Tage nach der reaktionären Suada von Sybille Lewitscharoff, die ihre Wellen nicht nur im Literaturbetrieb schlug, gab allen Anlass, über die Lautstärke von Worten zu diskutieren. Ganz anders war dies bei der von Maxim Biller ausgelösten Diskussion um die vermeintliche Angepasstheit der Literatur von Migrantenschriftstellern. Diese bewegte außerhalb des Feuilletons niemanden. Sein Argument sei daher nochmals wiederholt: Autoren mit Migrationserfahrung würden sich den biederen Kriterien des deutschen Literaturbetriebs anpassen und dafür Wohlfühlpreise einstreichen, so der Berliner Kolumnist.
Er wird sich bestätigt fühlen, hatte er doch just Saša Stanišićs Roman über eine Nacht Vor dem Fest im uckermärkischen Fürstenfelde zum Anlass genommen, dies zu kritisieren. Nun gewinnt ebenjener Roman – unter großem Jubel wohlgemerkt – den Preis der Leipziger Buchmesse in der Königsdisziplin Belletristik und setzte sich gegen die ebenfalls hoch gehandelte Bachmann-Preisträgerin Katja Petrowskaja und ihre Familiensuche Vielleicht Esther durch. Damit hat die Jury Herrn Biller im wahrsten Sinne des Wortes ein Ei ins Nest gelegt. Und der herausgebende Luchterhand-Verlag nach dem Deutschen Buchpreis mit Theresia Moras Das Ungeheuer den zweiten großen deutschen Literaturpreis innerhalb eines halben Jahres abgeräumt.
»Den Starken ist jeder Boden Heimat«, heißt es in Stanišićs Roman, in dem der beste Erzähler – der Fährmann – gleich auf der ersten Seite stirbt. Was bleibt Stanišićs, als selbst in die Rolle dieses kollektiven Erzählers zu schlüpfen und Teil dieses Dorf-Wirs zu werden, von dem er erzählt. Furios führt er dabei durch das Stimmengewirr dieses sterbenden Dorfes, in dem DDR-Föne immer noch ihren Dienst tun und Haare trocknen, und damit das sozialistische Deutschland immer noch ein wenig am Leben halten. Stanišićs habe sich nicht einsperren lassen in das »Ghetto des ewigen Migrantentums«, rief Laudatorin Daniela Striegl Stanisics Kritiker Biller entgegen – und hatte allen Grund, sich über diese gelungene Antwort auf Billers Forderung des migrantischen Existenzialismus zu freuen.
Mit ihr freute sich auch Stanišićs, über die Anerkennung und ein Ei, dass ihm jemand auf dem Weg zur Preisverleihung überreicht hatte. Es sei bestimmt aus der Uckermark, mutmaßte er bei seiner kurzen Dankesrede, einen Landstrich, über den er vor vier Jahren noch wenig gewusst habe, zu dessen Personal in seinem Roman er sich inzwischen aber dazuzähle.
Mit Der Schatten des Fotografen hat eine ebenso sinnliche wie analytische »Verhaltenslehre des Sehens« (René Aguigah) den Sachbuchpreis der Buchmesse gewonnen. Noch vor der Preisverleihung hatte der Autor, der Kulturwissenschaftler Helmut Lethen, den ebenfalls nominierten FAZ-Journalisten Jürgen Kaube gefragt, was das denn eigentlich sei, ein Sachbuch, unsicher ob sein sehr intimes, vom eigenen Seherlebnis ausgehendes, Bildungsroman-ähnliches Buch dort überhaupt hineinpasse. Woraufhin dieser gesagt haben soll, dass es ein wissenschaftliches Buch sei, das nicht zu sehr nach Wissenschaft rieche.
Keine allzu schlechte Definition für Lethens Werk über die »Wirklichkeit der Fotografie«, in dem er sich, ausgehend von seinen eigenen visuellen Erfahrungen, ebenso mit den Bilderwelten von Robert Capa und Dorothea Lange, von Marina Abramovic und der ersten Wehrmachtsausstellung auseinandersetzt, wie mit den Theorien von Walter Benjamin, Siegfried Kracauer, Roland Barthes und Hans Belting auseinandersetzt. Wenn es noch Zweifel daran gegeben habe, ob eine kulturwissenschaftliche Studie in Form eines autobiografischen Essays möglich sei, dann habe Lethen diese mit Der Schatten des Fotografen widerlegt, sagte Juror und SZ-Journalist Lothar Müller.
Für seine berserkerhafte Übersetzungsarbeit an dem Text-, Ereignis- und Kunstgebirge Europe Central wurde Robin Detje ausgezeichnet. Er erzählt darin von den bitteren und gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen Moskau und Berlin während des zweiten Weltkriegs. Mit mehr als über 40 Stimmen hat William T. Vollmann das Kaleidoskop einer apokalyptische Erzählung geschaffen, die wie die Musik von Dmitri Schostakowitsch donnert und grollt. Dies ist sowohl im wahrsten Sinne des Wortes als auch übertragen zu verstehen, denn eines der Themen des Romans besteht in der Untersuchung des Spannungsverhältnisses von Politik und Kunst. Die Stimmen von Käthe Kollwitz, Anna Achmatowa und Dmitri Schostakowitsch stehen hier stellvertretend für die Kulturszene der Zeit Spalier. Acht Jahre lang hat Detje an dem Text gearbeitet, anderthalb Jahre davon mit einer Assistentin, um die zahlreichen Fakten und Ereignisse, die Vollmann in seinen Roman eingebaut hat, zu prüfen und in einem Anhang zusammenzuführen.
Europe Central, Der Schatten des Fotografen und Vor dem Fest – drei Bücher, die alles andere als leisetreterisch daher kommen. Und auch wenn die Glashallen der Leipziger Messe noch nicht klirren, kann man mit Fug und Recht behaupten, dass die Gegenwartsliteratur laut ist. Ein himmlischer Lärm.
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