Comic, Interviews & Porträts

Dialoge zwischen Realität und Imagination

Das größte Rätsel überhaupt scheint mir die Liebe. Sie spielt in all Ihren Comics eine große Rolle, entweder weil ihre Figuren schwer verliebt oder auf der Suche nach diesem Gefühl sind.

Meine Figuren müssen immer auf der Suche nach etwas sein. Das kann auch etwas total Absurdes sein, wie die Liebe einer Frau oder die Bar Mitzwa einer Katze. Aber sie müssen etwas wollen, sonst sind es tote Figuren. Dazu kommt, dass es ein Vergnügen ist, Liebesdinge und Sexualität zu zeichnen. Ich weiß, dass es dabei Grenzen gibt und dass die Zeichnung die Dinge niemals so wiedergibt, wie es bei einem Film der Fall wäre. Ich spiele also mit diesen Grenzen, um Dinge zu zeigen, die ich in einem Film nicht zeigen könnte, weil sie zu roh und zu gewalttätig wären. Für mich ist es wichtig, dass meine Personen irgendetwas wollen. Das muss nicht die Liebe, das kann auch etwas zu essen sein, aber sie müssen etwas wollen.

Was immer noch nicht Ihren Hang zur Erotik und Sexualität erklärt, der sich durch fast alle Ihre Arbeiten zieht. Auch in »Aspirine«, der Fortsetzung von »Vampir«, wird das sichtbar.

Ich bin jemand, der viel über die Gleichheit von Mann und Frau nachdenkt. Es ist gar nicht einfach, diesen Gedanken zu verteidigen, ohne dabei den Charme mancher fast anachronischer Zusammenhänge aufzulösen – man denke nur an den verführerischen Franzosen oder so etwas. Das ist eine sehr interessante Auseinandersetzung, einerseits den Gedanken der Gleichheit von Mann und Frau aufrechtzuerhalten und zugleich Dinge zu bewahren, die andere sympathisch finden.

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Joann Sfar | avant-Verlag

Geht es Ihnen auch darum, die Sexualität aus den reaktionären und/oder religiösen Zwängen zu befreien?

Naja, ich denke, solange man ein erfülltes Sexualleben hat, braucht man die Religionen nicht besonders. Die Religionen sind doch erst dann relevant, wenn jemand stirbt oder sich trennt. Mir macht es aber auch Spaß, Menschen, die sich küssen, die miteinander tanzen oder Sex haben zu zeichnen. Ich erinnere mich an ein Interview mit Hugo Pratt, in dem er gesagt hat, dass er Corto Maltese nicht mit einer Frau im Bett zeichnen würde, weil das dessen Privatleben ist. Das hat mir gefallen, ich habe es gut verstanden, aber im selben Moment gemerkt, dass ich das anders sehe. Mich macht es überhaupt nicht an, wenn meine Figuren Sex haben, aber es macht mir Spaß, das zu zeichnen, weil darin auch ihre Zerbrechlichkeit und Verletzlichkeit steckt.

Was viele an den von mir gezeichneten Sexszenen irritiert, ist die Tatsache, dass die Männer nie eine Erektion haben. Als der erste Teil von »Pascin« erschienen ist, haben die Buchhändler den Titel in der zweiten Reihe versteckt. Mein Verlag (L’Association) hat gesagt, dass das doch nicht sein kann, dass man »Pascin« wegen der Sexszenen versteckt und zugleich Milo Manara ins Schaufester setzt. Und da haben die gesagt: Das stimmt, aber Pascin hat keine Erektion. Wir leben in einer Gesellschaft, in der man die nackte Frau, so wie sie ist, wunderbar darstellen kann, den nackten Mann aber nicht.

In »Chagall in Russland« gibt es Tam, der nicht aufhören kann zu weinen. Genauso geht es der Schachautomatin in »Vampir«. Welche Bedeutung haben in Ihren Comics die Tränen?

In Comics darf man meines Erachtens jedes Mittel des Melodramas nutzen, ohne dass man gleich eine Tragödie zeichnen muss. In den Mangas werden die Dinge auch immer stark übertrieben. Ich finde das grafisch sehr interessant.

In »Vampir« setzen Sie sich selbst als Zeichner in Szene, indem Sie in die Darstellung der Geschichte eingreifen. Ist das Ihr Blick auf Sie selbst? Sind Sie Teil Ihres eigenen Comickosmos oder stehen Sie lieber außen und schauen dem bunten Treiben zu?

Es ist etwas anders. »Vampir« ist zuerst als Serie in einem Magazin erschienen. Ich habe also immer vier Seiten gezeichnet und dann musste ich eine Pause machen. Ich musste immer recht schnell die nächsten vier Seiten abgeben, so dass ich nicht viel Zeit damit verbracht habe, darüber nachzudenken, was als nächstes passiert. Manchmal war ich so müde oder einfallslos, dass ich mir dachte »Okay, was passiert jetzt als nächstes?« und dann genau das gezeichnet habe. Meine Comics sind immer improvisiert, es folgt immer ein Bild auf das nächste, und manchmal setze ich mich dabei selbst in Szene.

9 Kommentare

  1. […] auch als Filmemacher aktiv. Diesen beruflichen Split teilt er sich mit anderen Comicgrößen wie Marjane Satrapi, Riad Sattouf oder Joann Sfar. Nach Dokumentationen und Kurzfilmen konnte er 2010 seinen ersten […]

  2. […] bekannt sein dürfte, sondern beispielsweise auch aus dem grandiosen »Gainsbourg«-Biopic von Comiczeichner und Filmemacher Joann Sfar. Rosamunde Pike (»A Private War«) führt die Rolle der Curie energisch bis verbittert aus. So […]

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