Comic, Interviews & Porträts

Dialoge zwischen Realität und Imagination

Ausstellung Joann Sfar | Foto: Thomas Hummitzsch

Ihre Comics sind – was die Technik betrifft – sehr unterschiedlich. Wann treffen Sie die Entscheidung, mit welchen Mitteln Sie arbeiten?

Jetzt kommen wir zu den echten Fragen. Seit vier oder fünf Jahren habe ich schon keinen wirklichen Comic mit Feder und Tusche gezeichnet. Ich habe zuletzt immer nur Sachen mit dem Filzstift gemacht, weil ich mit meinem Engagement in der Filmbranche ausgelastet war. Inzwischen habe ich aber das Bedürfnis, zur echten Tuschezeichnung zurückzukehren. Was die Federzeichnung betrifft, gibt es meines Erachtens eine Art Akademismus, und auf der unbeweglichen Seite der Comicautoren habe ich versucht, diesen etwas aufzubrechen. Aber ich glaube, ich bin daran gescheitert. Egal, ob wir über »Klezmer«, das »Journal de merde« oder meine Aquarellzeichnungen sprechen, ich halte sie alle für Fehlschläge. Comics sind für die Dinge, die ich dort ausprobiert habe, nicht gemacht. Aber es waren Fehlschläge, die ich gebraucht habe. Wenn ich mir meine letzten Zeichnungen von »Romain Gary« anschaue, die wie die Zeichnungen von »Die Katze des Rabbiners« mit Tusche und Feder am Lichttisch entstanden sind, dann stelle ich fest, dass ich nicht mehr so zeichne wie noch vor fünf Jahren. Mein Zeichenstil hat sich verändert.

Für die Radiostation France Inter mache ich eine tägliche Sendung über die Malerei, in der ich die großen Meisterwerke der Malerei interpretiere und kommentiere. Ich zeichne also täglich die Klassiker in den großen Museen ab, in schnellen Strichen, skizzenhaft, aber wenn ich mich dann später an die Comics setze, dann werden sie modifiziert. Und hier liegt sie, die Entscheidung, in der Entwicklung der vergangenen Jahre. Ich habe mich entschieden, nicht der Lehre der Tuschezeichnung zu folgen und zugleich nicht einfach nur irgendetwas zu machen, und dabei darüber nachzudenken, dass das Comiczeichnen etwas anderes ist als die schönen Künste. Comics sind eine angewandte Kunst, wie die Literatur.

Haben Sie einen Lieblingsstil?

Mein Favorit ist der Schwarz-Weiß-Comic, sowohl als Autor als auch als Leser. Aber leider sind die Verleger meistens dagegen – aus kommerziellen Gründen.

Warum Schwarz-Weiß?

Weil es abstrakt ist und der Leser genauso viel arbeiten muss wie der Zeichner. Hinter der Farbe versteckt sich eine Passivität, die an die Kindheit erinnert. In »Die Katze des Rabbiners« funktioniert das wunderbar, weil die Zeichnungen nahezu infantil sind. Aber bei einem Schwarz-Weiß-Comic bist du als Leser selbst viel aktiver. Die Lektüre eines Albums von Hugo Pratt bewegt mich, nimmt mich richtig mit, da ist Musik drin.

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Joann Sfar | avant-Verlag

Im vierten »Klezmer«-Band war die Veränderung des Strichs sehr stark erkennbar. Der feine, ziselierte Strich wurde hier abgelöst von einem wilden breiten Strich. Wird der fünfte Band auch in diesem Stil gezeichnet sein?

Nein, der fünfte Band wird stilistisch wieder langsam zum Ausgangsstrich zurückfinden. Er beginnt ähnlich wild wie der vierte Band und dann wird der Strich immer feiner, bis er am Ende fast so ist wie in »Die Katze des Rabbiners« – allerdings mit Aquarell, nicht mit Tusche. Ich glaube, um den vierten Band gab es eine richtige Panik, vielen Lesern hatte der Strich überhaupt nicht gefallen. Aber für mich war es notwendig, den Band genau so zu machen. Ich werde das wahrscheinlich nie wieder so machen, bin stilistisch bis zum Äußersten gegangen, aber es war notwendig. Das Buch, das ich in den letzten Jahren am liebsten gemacht habe, war das große Album mit den Aquarell-Zeichnungen von Gainsbourg (»Gainsbourg hors champ«). Wahrscheinlich ist es das einzige Aquarell-Werk, das mir gelungen ist. Auch mit »Pascin« bin ich ganz zufrieden, aber ich werde mit dem abschließenden fünften »Klezmer«-Band wieder in den klassischen Bereich zurückkehren.

Wie kommen Sie eigentlich zu Ihrem nervösen, tanzenden, zitternden Strich. Ist das eine bewusste Entscheidung, womöglich um die Unsicherheit der Wirklichkeit abzubilden?

Ja und nein, es ist schon eine bewusste Entscheidung, wenn er da ist, aber erst einmal entsteht dieser Strich einfach so. Der Strich wirkt ein wenig improvisiert, aber auch lebendig. Zugleich ist er stark beeinflusst von anderen Zeichnern wie Quentin Blake oder Sempé, die bei diesem Strich von Bewegung und Lebendigkeit sprechen. Dazu kommt noch die Besonderheit der Tusche, mit der ich jetzt bei meinen Arbeiten zu »Romain Gary« erst wieder anfange. »Die Katze des Rabbiners« oder »Vampir« sind mit Tusche gezeichnet. Mit ihr kann man alle Empfindungen, die wir haben, transportieren und ich versuche das nicht zu verstecken. Bei »Pascin« etwa wollte ich auch die Brutalität zeigen, und an manchen Stellen ist diese Arbeit »sauberer« ausgeführt als anderes. Ich habe aber zum Beispiel noch keinen Schwarz-Weiß-Comic mit dem Pinsel gemacht. Manchmal mache ich ein einzelnes Panel mit dem Pinsel, aber ich bin mir unsicher, ob ich einen ganzen Comic mit dem Pinsel zeichnen kann. Ich würde es aber gern ausprobieren. Ein wichtiger Aspekt, über den übrigens wenig geredet wird, der mich aber aktuell viel beschäftigt, ist der Prozess des Tuschierens (»l’encrage«). Viele vergessen es, aber ohne Klaus Janson hätte es Frank Miller – einer der größten Comicautoren der Welt – nie gegeben.

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Joann Sfar | avant-Verlag

Das führt mich zur Frage, wie sehr Sie die amerikanische Comicwelt beobachten und sich von ihr inspirieren lassen.

Was meinen Comicgeschmack angeht, bin ich viel eher Anhänger der amerikanischen als der franko-belgischen Tradition. Ich habe die Comics für mich über Stan Lee, Jack Kirby und John Buscema und die Superhelden-Comics entdeckt, erst danach bin ich mit Fred und Hugo Pratt auf die franko-belgische Comicwelt gestoßen. Ich habe hauptsächlich amerikanische Comics gekauft – eher wegen der Geschichten als wegen der Zeichnungen – und habe so alle Geschichten von Ed Brubaker und Robert Kirkman verfolgt. Ich bin mit Robert Crumb großgeworden und mag ihn bis heute. Auch die Arbeiten von Mike Mignola, Frank Miller und Dave Gibbons gefallen mir sehr gut. Ich weiß aber nicht so genau, was mit dem amerikanischen Comic los ist. Ich meine, Leute wie Daniel Clowes oder Charles Burns, die ich mag, sind schon seit dreißig Jahren da. Ich sehe nicht wirklich eine Ablösung dieser Leute. Ich verstehe die Arbeiten von Chris Ware, das ist wirklich gut gemacht. Ich mag auch die Arbeiten der Hernandez-Brothers, aber die sind auch schon ewig da. Allerdings haben diese Comics die richtige Länge, ein paar hundert Seiten, gut geschrieben, das mag ich. Aber insgesamt weiß ich nicht so recht, wer da nachkommt. Mangas lese ich ganz wenig, auch wenn ich weiß, dass es wirklich gute Mangas gibt. Meine Kinder lesen die hoch und runter. Und von den französischen Comics lese ich – ehrlich gesagt – ziemlich wenig. Ich lese natürlich die meiner Freunde und das, was man mir als Herausgeber schickt, aber ansonsten kann ich mich dafür momentan nicht so richtig begeistern. Vielleicht, weil sie zu kurz sind, ich brauche einfach ein paar hundert Seiten.

Nun haben Sie aufgezählt, wen und was Sie so alles lesen, aber wer gefällt Ihnen stilistisch am besten?

Es ist schwer, von Lieblingsautoren zu sprechen, aber ich mag Robert Crumb, Sempé, Quentin Blake, Hugo Pratt und Fred – das sind die Namen, die mir einfallen. Ich habe aber auch einen Hang zu den amerikanischen Illustratoren wie Charles Addams.

Was Sie nicht abhält, inzwischen als Romancier aktiv zu werden.

Ich habe im vergangenen Jahr einen Roman über einen russischen Vampir bei Albin Michel veröffentlicht (»L’éternel«) und werde demnächst bei Gallimard einen weiteren historischen Roman veröffentlichen (»L’ancien temps«). Außerdem werde ich bei Albin Michel noch einen dritten Roman über einen französischen Philosophen veröffentlichen (»Le plus grand philosophe de France«). Diese Arbeit macht mir Spaß, weil ich hier viel Platz habe, um meine Geschichten zu Ende zu erzählen. Das heißt nicht, dass ich mit dem Comiczeichnen aufhöre, ich mache nur eine andere Sache zusätzlich.

Sehen Sie sich nicht manchmal selbst als ein Wunderkind? Sie sind erfolgreicher Comicautor, Filmemacher und nun auch noch Romancier. Was soll denn noch kommen?

Oh nein, es ist die Ruhelosigkeit, die mich antreibt. Mir macht das alles wahnsinnig viel Spaß. Manchmal stecke ich in irgendetwas fest oder verbeiße mich, aber am Ende sage ich mir, warum soll ich nicht in mehreren Dingen erfolgreich sein. Also mache ich sie.

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Die Comics von Joann Sfar erscheinen in der deutschen Übersetzung beim Berliner avant-Verlag. Gerade ist »Aspirine« erschienen, die grandiose Fortsetzung des im Frühjahr erschienenen »Vampir«-Albums. Ebenfalls im Frühjahr ist der erste Sammelband von »Die Katze des Rabbiners« erschienen, der abschließende zweite Band erscheint im April 2015. Im Frühjahr 2015 erscheint außerdem Joann Sfars erster Roman »Der Ewige« bei Bastei Lübbe.

9 Kommentare

  1. […] auch als Filmemacher aktiv. Diesen beruflichen Split teilt er sich mit anderen Comicgrößen wie Marjane Satrapi, Riad Sattouf oder Joann Sfar. Nach Dokumentationen und Kurzfilmen konnte er 2010 seinen ersten […]

  2. […] bekannt sein dürfte, sondern beispielsweise auch aus dem grandiosen »Gainsbourg«-Biopic von Comiczeichner und Filmemacher Joann Sfar. Rosamunde Pike (»A Private War«) führt die Rolle der Curie energisch bis verbittert aus. So […]

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