Literatur

Die Tyrannei der Sprache

© Thomas Hummitzsch

Postkoloniale Literaturen haben das Zeug, unseren Blick auf die Welt und auf uns selbst nachhaltig zu verändern. Bei ihrer Entstehung greifen aber oftmals Kräfte, die in der literaturkritischen Reflektion selbst kaum beachtet werden. Sie spiegeln in sich die Verhältnisse, aus denen sie hervorgegangen sind.

Hamza schreckt nachts immer wieder schweißgebadet aus dem Schlaf hoch. Sein Gesicht ist nass, die Glieder zittern. Ein Schluchzer steckt in seiner Seele und ein Gefühl in seinen Knochen. »Ein Gefühl von Bedrohung, eine Todesangst. Als käme eine große Gefahr näher, vor der es kein Entrinnen gibt. Da ist ein furchtbarer Lärm, und Schreie und Blut.«

Hamza wurde als Jugendlicher zwangsrekrutiert, um im Söldnerheer der deutschen Kolonialtruppen in Deutsch-Ostafrika die »wilden« Schwarzen dem deutschen Kaiser zu unterwerfen. Er ist einer von vier Personen, deren verschlungenen Wegen Literaturnobelpreisträger Abdulrazak Gurnah in seinem neuen Roman »Nachleben« folgt, um zu zeigen, wie die Opfer des kolonialen Terrors eigentlich weiterleben. Eine andere Figur wird es nach Deutschland verschlagen, wo sie in Nazi-Filmen den wilden Schwarzen gibt. In ihr greift Gurnah das Schicksal von Bayume Mohamed Husen auf, der nach dem Krieg nach Deutschland ging, neben Zarah Leander und Hans Albers vor der Kamera stand und wegen »Rassenschande« im KZ Sachsenhausen umgebracht wurde.

In dem von Eva Bonné übersetzten Roman zieht der in Sansibar geborene Schriftsteller eine Linie vom Kolonialismus zu den Verbrechen des Dritten Reiches. Gurnah holt damit das Kapitel des deutschen Kolonialismus aus dem Dunkel der kollektiven Verdrängung. »Mir geht es nicht darum, die historischen Ereignisse gleichzusetzen«, erklärte er gegenüber der ZEIT, »aber natürlich waren die Deutschen mit ihrem kulturellen Überlegenheitsgefühl dezidiert rassistisch, und sie übten die Unterwerfung anderer Völker ein, ich sehe durchaus Verbindungslinien.«

Gurnahs Literatur eröffnet die Möglichkeit, eine Lücke im deutschen Selbstbewusstsein zu schließen und die nationale Geschichte im imperialistischen Zeitalter noch einmal kritisch zu beleuchten. Seine Auszeichnung hat Geschichten aus ehemals kolonialisierten Regionen unter dem Schlagwort der postkolonialen Literatur in den Fokus der Aufmerksamkeit gerückt. Dabei kommt es nicht allein darauf an, dass diese Texte aus Ländern kommen, die einst von den (europäischen) Imperialmächten unterworfen waren, sondern dass in ihnen eine machtkritische Perspektive mitschwingt.

Oftmals tauchen diese Texte bewusst in die Geschichte ein, um historische Fakten aus der Perspektive der Unterworfenen, der Opfer und Leidtragenden an die Oberfläche und ins Bewusstsein zu holen. Neben Gurnahs Werk seien hier repräsentativ David Diops hypnotischer Roman »Nachts ist unser Blut schwarz« oder Maaza Mengistes bildgewaltiger Roman »Der Schattenläufer« genannt. Diop lässt einen sogenannten Senegalschützen von seinen Erlebnissen in den Schützengräben des Ersten Weltkriegs erzählen, Mengistes Roman handelt vom Engagement äthiopischer Frauen im Kampf gegen die faschistischen Truppen Mussolinis im Äthiopien der 30er Jahre. Indem Romane wie diese die Politik der Kolonialstaaten aus der Perspektive der Ausgebeuteten und Unterworfenen beleuchten, räumen sie mit der Verklärung und Ignoranz kolonialer Verbrechen auf.

Dabei folgt die von Brigitte Jakobeit und Patricia Klobusizcky übersetzte Erzählung den Spuren eines Fotografen, der die Ereignisse durch seine Kamera verfolgt, und der jungen Waise Hirut, die sich als Soldatin nicht nur gegen die italienischen Truppen erhebt, sondern auch gegen die patriarchalen Strukturen in ihrer Gesellschaft ankämpft. Dass sie durch eine geschickte Täuschung zudem dazu beiträgt, dass Kaiser Haile Selassi als Phantom über das Schlachtfeld schwebt, macht sie zur Gründerin einer Legende, die bis heute den Mythos des Kaisers nährt. Den entblößt die in Addis Abeba geborene und in New York lebende Autorin und zeigt, dass Geschichte nicht immer linear verläuft, wir sie im Nachhinein aber so lesen.

Dies kann man auch dem Roman »Der verbotene Bericht« der marokkanisch-amerikanischen Schriftstellerin Laila Lalami attestieren. Die gerade in der deutschen Übersetzung von Michaela Grabinger erschienene Erzählung handelt von der sogenannten Eroberung Floridas durch spanische Kolonialisten. Zur postkolonialen Lektüre wird diese Geschichte durch die Erzählperspektive. Hinter dem Ich-Erzähler verbirgt sich ein marokkanischer Sklave, der seinen Besitzer auf der Reise begleitet und so als erster Afrikaner den amerikanischen Kontinent betritt. Es ist bezeichnet, dass auch er das Land als Sklave betritt, fast einhundert Jahre, bevor die ersten Schiffe mit afrikanischen Sklaven den Kontinent erreichen.

Einiges an dem mit dem American Book Award ausgezeichneten und für den Pulitzerpreis nominierten Roman Lalamis erinnert an einen frühen Roman Gurnahs. In »Das verlorene Paradies« wird der Ich-Erzähler Yussuf als Schuldpfand an einen muslimischen Händler verkauft und so zum Teil einer Karawane ins unbekannte Hinterland Tansanias. Der Erzähler von Lalamis verbotenem Bericht Estebanico alias Mustafa ibn Muhammad ibn Abdussalam al-Zamori gerät wie Yussuf aus Armut in Sklaverei und wird so Teil der kolonialen Reise. So erzählen in beiden Romanen bereits unterworfene Menschen mitfühlend davon, wie sie die Unterwerfung anderer Menschen erlebt haben. »Ich wusste, wie es war, wenn man ausgepeitscht wurde, wenn man sich wehrte, seine Unschuld beteuerte, nur um noch heftiger gepeitscht zu werden und festzustellen, dass Hiebe erst mit der vollständigen und bedingungslosen Unterwerfung endeten«, berichtet der Erzähler. An anderer Stelle beobachtet er, dass die Spanier, nachdem sie sich zu Herren über Florida ernannt hatten, begannen, »alles neu zu benennen, als wären sie der allwissende Gott im Garten Eden.«

Diese koloniale Sprachpolitik, nach der die Welt nur mit imperialen Sprachmustern erklärt und zugänglich gemacht wird, kritisiert auch Sinthujan Varatharajah. Der in Berlin lebende tamilische Autor erkundet in seinem Essay »an alle orte, die hinter uns liegen« die Folgen kolonialer Gewalt. Ihre Folgen spiegeln sich auch im Literaturbetrieb, so Varatharajah. Übersetzungsförderung für Texte aus lokalen Sprachen gebe es kaum, »weil die Annahme besteht, dass die Geschichten, die in diesen marginalisierten Sprachen erzählt werden, nicht relevant sind«, erklärt er im Gespräch. Das führe zu einer Dominanz »imperialer Sprachen«.

Die Frage ist berechtigt, ob der Roman »The Seven Moons of Maali Almeida« des neuen Booker-Prize-Trägers Shehan Karunatilaka auch so viel Aufmerksamkeit bekommen hätte, wenn er nicht auf Englisch, sondern in Singhalesisch oder Tamil verfasst worden wäre? Gleiches gilt für den aktuellen Roman des tamilischen Autors Anuk Arudpragasam. »Nach Norden« war in der vergangenen Saison für den Booker Prize nominiert und ist gerade, von Hannes Meyer aus dem Englischen übersetzt, bei Hanser erschienen.

Der Senegalese Mohamed Mbougar Sarr hätte wohl kaum den renommierten Prix-Goncourt erhalten, wenn er seinen Roman »Die geheimste Erinnerung der Menschen« in Wolof geschrieben hätte? Und bei uns angekommen wäre dieser fulminante Text schon gar nicht. Würden wir Literaturnobelpreisträger Abdulrazak Gurnah überhaupt kennen, wenn er sich seiner Muttersprache Swahili bedient hätte? Oder Wole Soyinka, Afrikas ersten Literaturnobelpreisträger, der nicht in einer Niger-Kongo-Sprache wie Yoruba schreibt, sondern seine Werke – zuletzt ist sein grimmiges Alterswerk »Die glücklichsten Menschen der Welt« in der Übersetzung von Inge Uffelmann erschienen – auf Englisch verfasst?

Zweifel sind angebracht, wie das Beispiel des kenianischen Schriftstellers Ngugi wa Thiong’o zeigt. Der 84-Jährige, der immer wieder als heißer Nobelpreiskandidat gehandelt wird, schreibt zum Zweck der Dekolonialisierung seit den 1970er Jahren auf Kikuyu. »Wir müssen uns von der Gewaltherrschaft der Einsprachigkeit befreien. Einsprachigkeit ist das Kohlendioxid der Kultur. Mehrsprachigkeit ist der Sauerstoff«, schreibt wa Thiong’o in seinem Essay »Dekolonisierung des Denkens«. Hierzulande kennt man sein Werk nur, weil Thomas Brückner die englischen Ausgaben seiner Romane ins Deutsche übersetzt hat. Im Gegensatz zu Soyinka und Gurnah, die beide seiner Schriftsteller-Generation angehören, hat er noch keinen Nobelpreis erhalten. Ein Schelm, wer hier einen Zusammenhang herstellt.

Der postkoloniale Sprachdruck betrifft aber auch Autor:innen und ihre Sprachen, deren koloniale Unterwerfung kaum noch thematisiert ist. Wenn etwa Tommy Orange seinen Roman »Dort, Dort« in der Sprache der Cheyenne oder Louis-Karl Picard-Sioui seine Erzählung »Der Große Absturz« in der Sprache seines »Wolfsclans der Wendake« verfasst hätte, wären diese umwerfenden und horizonterweiternden Geschichten mutmaßlich nie bei uns angekommen. Oder was wäre mit dem Werk von Jamaica Kincaid? Würde das gerade wiederentdeckt, hätte sie es in einer der Kreolsprachen verfasst, die auf Antigua gesprochen wird?

Stefano Massini: Das Buch der fehlenden Wörter. Aus dem Italienischen von Annette Kopetzki. Hanser Verlag 2020. 254 Seiten. 26,- Euro. Hier bestellen.

Warum das auch literarisch und erzählerisch von Bedeutung ist, beschreibt der italienische Autor Stefano Massini in »Das Buch der fehlenden Wörter«. Unsere Sprachen seien niemals neutral, schreibt der Autor des gerade erschienenen Langgedichts »Die Lehman Brothers«, »sie enthalten ein Wertesystem und nutzen es tyrannisch, indem sie entscheiden, was bezeichnet werden und was namenlos bleiben kann. Wie ein maßgeschneidertes Kleid bildet jede Sprache ab, was eine Kultur für richtig oder falsch hält.« Massini führt zur Illustration an, dass das Eskimovolk der Utku kein Wort für Wut besitzt, weil es diesen Gemütszustand fürchtet wie die Gallier, dass ihnen der Himmel auf den Kopf fallen könnte. So wird deutlich, dass die Sprache, in der Geschichten verfasst sind, auch Wesentliches über die innere Verfasstheit der Menschen enthalten, von denen sie erzählen.

Patricia Klobusizcky, Übersetzerin der simbabwischen Schriftstellerin Petina Gappah, bestätigte kürzlich die These der Macht der imperialen Sprachen. Im Konterbande-Magazin des Deutschen Übersetzerfonds schrieb sie, dass »die Erfahrung, dass Sprache und Kultur des jeweiligen Imperiums als das Höherwertige, Erstrebenswerte gelten, während die Sprachen und Kulturen der Kolonisierten systematisch herabgewürdigt, wenn nicht gar fast ausgelöscht werden«, über Länder- und Generationsgrenzen hinweg als exemplarisch gelten könne, »und das noch lange nach dem gewonnenen Kampf um Unabhängigkeit.« In neueren postkolonialen Texten würden deshalb oft die Verwendung der Kolonialsprachen reflektiert, europäische Erzählweisen adaptiert, verfremdet, weiterentwickelt sowie Wörter, Wendungen und Rhythmen aus den jeweiligen afrikanischen Sprachen eingestreut oder syntaktisch aufgenommen.

Es gebe in Afrika nur wenige Länder, »wo man die Sprache der früheren Kolonialmächte abschaffen und zugleich die damit verbundenen Möglichkeiten der gegenseitigen Verständigung bewahren könnte«, zitiert Freyja Melsted in ihrem lesenswerten Beitrag zu den Stimmen Afrikas auf Tralalit den nigerianischen Schriftsteller Chinua Achebe. »Die afrikanischen Schriftstellerinnen und Schriftsteller, die sich entschieden haben, auf Englisch oder Französisch zu schreiben, sind demnach keine unpatriotischen Besserwisser, die nur den ausländischen Markt im Blick haben. Sie sind vielmehr Nebenprodukte derselben Vorgänge, aus denen auch die neuen afrikanischen Staaten entstanden sind«, schreibt er in seinem Essay »English and the African Writer«.

Gute Beispiele für solche Autor:innen sind Yaa Gyasi und Nana Oforiatta Ayim mit Wurzeln in Ghana, von Imbolo Mbue und Djaïli Amadou Amal, die beide in Kamerun geboren sind, oder die Literatur von dem in Kenia geborenen Binyavanga Wainaina. Letzterer hat sogar einmal erlebt, wie die angekündigte Veröffentlichung einer von ihm verfassten Geschichte aufgrund seiner »unangemessenen … unschicklichen … Sprache« zurückgezogen wurde. Dass diese und viele andere Autor:innen mit marginalisierten Sprachhintergründen am Ende aber nicht einfach nur in den Sprachen schreiben, die ihre Herkunftsregionen erobert haben, sondern auch in den Sprachen, die sie sich selbst erobert und angeeignet, dabei verändert und erweitert haben, darf bei all dem nicht in Vergessenheit geraten.

Bei Tsitsi Dangarambga und ihrem nun vollständig von Ilija Trojanow und Anette Grube übersetzten Tambudzai-Epos ist das Konzept selbst ein postkoloniales. Die Friedenspreisträgerin beschreibt in der Trilogie eindringlich die Situation von Frauen und Mädchen in einer Gesellschaft voller radikaler Brüche und Umwälzungen. Ihre Hauptfigur Tambudzai Sigauke wächst Anfang der 70er unter kolonialen Bedingungen in einem Dorf auf, erlebt zu Beginn der 80er als Heranwachsende das nationale Erwachen, ist in den 90ern als erwachsene Frau mit den Folgen der postkolonialen Selbstfindung konfrontiert und kämpft gegen Armut, Rassismus und Sexismus. Der Dreisatz aus »Aufbrechen«, »Verleugnen« und »Überleben« zeigt, dass sich die Trilogie mehr und mehr existenziellen Fragen nähert. Entlang dieser Bewegung sind die Schauplätze Dorf, Schule und Stadt, die Themen Armut, Rassismus und Frauen sowie die Kampffelder Klasse, Hautfarbe und Gender angeordnet, die von den psychischen Deformationen von Kolonialismus und Rassismus zur physischen Bedrohung des Körpers führt.

Die historischen Verstrickungen und anhaltenden Ungleichheiten zwischen Unterdrücker:innen und Unterdrückten rücken mehr und in den Fokus der zeitgenössischen postkolonialen Literatur. Literaturübersetzer:innen stehen dabei vor der Herausforderung, die oftmals spielerische sprachliche Dekolonialisierung entweder in ein verr(i)egeltes Deutsch zu übertragen oder neue, kreative Lösungen zu finden.

Auf pocolit.com schreiben Lucy Gasser und Anna von Rath über postkoloniale Literatur und laden zur Diskussion über gute und schlechte Übersetzungsbeispiele sensibler Begriffe ein. Bei ihren Lektüren von Original und Übersetzung stellen sie eine Tendenz fest, dass konkrete Begriffe in allgemeine Abstrakta überführt werden, die soziale Konstrukte, Vorurteile und Ressentiments aufgreifen. Das ist insbesondere bei politisch sensiblen Texten, die Diskurse über Zugehörigkeit, Identität und Gender aufgreifen, folgenreich, weil die politische Nuancierung vor dem Hntergrund aktueller Debatten und Sensibilitäten und textlich-ästhetische Aspekte unterschiedliche Entscheidungen ermöglichen. »Eins ist klar: Übersetzer:innen machen sich in jedem Fall angreifbar«, schreiben Gasser und Rath in ihrem fundierten Beitrag auf Tralalit.

Die dreisprachige Anthologie »Timescapes – aller-retour« mit Erzählungen aus afrikanischen Kontexten (hier das lesenswerte Vorwort) belegt die ästhetischen und erzählerischen Herausforderungen der Übersetzung von Literatur aus marginalisierten Kontexten eindrucksvoll. In den hier versammelten Erzählungen reflektieren die Verfasser:innen mit Wurzeln in Kamerun, dem Kongo, Nigeria, Senegal, Südafrika und Uganda nicht nur die kolonialen Vergangenheit, sondern auch den langen Schatten des Kolonialismus in der postkolonialen Gegenwart und Zukunft.

Die erste Erzählung folgt einer Zugfahrt von Dakar ins Umland und reflektiert dabei die raum-zeitlichen Verwicklungen der kolonialen Visionen, von denen die Bahnhofsgebäude noch immer sprechen. Eine andere macht tief verinnerlichte rassistisch-koloniale Denkmuster sichtbar, indem sie in den Kopf eines kleinen Mädchens blickt, das Schwarz nicht leiden kann, weil es dabei immer an seine Haut denkt und daran verzweifelt, »niemals der wahren Barbie ähneln zu können«. Sie handeln vom Leben im Exil und der Sehnsucht nach Heimat oder führen die europäische Flüchtlingspolitik in ihrer zynischen Funktionalität und Konsequenz vor. »Der Horizont meiner Träume ist eine Betonwand, ein Stacheldrahtzaun, ein amtliches Blatt Papier, auf dem ein Stempel prangt: ABGELEHNT.«

Vera Elisabeth Gerling, Birgit Neumann, Eva Ulrike Pirker (Hrsg.): Timescapes – aller-retour. Erzählungen aus afrikanischen Kontexten. C.W.Leske-Verlag 2022. 280 Seiten. 18,- Euro. Hier bestellen.

Zentral ist auch in diesen Texten die Frage, wie viel Fremdes und Unbekanntes – ausgelöst durch die »machtkritische Perspektive« der Erzähler:innen – in einer Übersetzung erhalten bleiben kann? Hier haben die Herausgeberinnen Vera Elisabeth Gerlin, Birgit Neumann und Eva Ulrike Pirker eine klare Haltung. Man könne »Lesenden weltweit zumuten, sich auf kulturelle Differenz einzulassen.«

Die kolonial geprägten Erzählung(haltung)en, mit denen die Kinder und Kindeskinder der Kolonialist:innen groß geworden sind, wirken wie Prousts Madeleines und sorgen beständig dafür, dass die Welt mehr oder weniger bewusst nach kolonialen Gesetzen gelesen und sortiert wird. Das einzige, was das verhindern kann, sind neue Geschichten aus neuen Perspektiven, die bestenfalls in den »alten« Sprachen der Väter und Vorväter verfasst sind, deren Übersetzung dringend nachhaltiger Förderung bedarf. Denn nur diese Geschichten können uns zu der in einer globalen Welt immens wichtigen Erfahrung verhelfen, dass wir in vielerlei Hinsicht kulturelle Analphabet:innen sind und mit Demut und Achtsamkeit diesen Planeten bewohnen sollten.

Eine deutlich kürzere Fassung des Textes ist am 8. November in der taz erschienen.

4 Kommentare

  1. […] Genau diesen Blick von oben nach unten will Vieux-Chauvet (und Übersetzerin Nathalie Lemmens) mit der Verwendung dieses belasteten Begriffs auch vermitteln. Die Herablassung, die in ihm mitschwingt, transportiert die selbstsüchtige […]

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